1169 - Satans Kind?
ein Fenster zu öffnen und ein Gitter zu lösen?
Er tanzte noch draußen, aber der Regen spülte ihn nicht weg. Er trotzte ihm und wallte an der Rückseite plötzlich in die Höhe, wo sich dann ein runder Buckel bildete. Zudem streckte er sich, und besonders Muriel hatte nicht mit dieser Veränderung gerechnet. Sie sah alles, als wäre es nur für sie gemacht worden, und in den folgenden Sekunden erschienen die weißen beinernen Klauen, die sich tatsächlich um die Kante der schmalen Fensterbank im Innern klammerten, damit die Gestalt genügend Halt bekam, um sich in die Zelle hineinschieben zu können.
Lautlos glitt sie über das Hindernis hinweg und schüttelte sich dabei, als wollte sie das Wasser abperlen lassen.
Wie der Gestalt gewordene Alb hockte das Wesen bucklig und geduckt auf der Fensterbank. Es war fast breiter als hoch. Es gab keine körperliche Form. Es war als unförmig und gestaltlos anzusehen, aber es war, verdammt noch mal, vorhanden.
Und Julia sprach mit ihm. »Endlich«, flüsterte sie dem Eindringling entgegen.
»Endlich bist du gekommen. Ich habe so lange auf dich warten müssen.«
Du bist verrückt. Du bist wahnsinnig. Du bist durchgedreht. Das alles wollte Muriel ihrer Leidensgenossin sagen. Es war nicht zu schaffen. Erstens bekam sie kein Wort hervor, zweitens sagte ihr der Verstand, dass es besser war, wenn sie sich nicht einmischte.
Es sah beinahe lächerlich aus, als dieses fremde Wesen wie eine mutierte Riesenfledermaus sich selbst Schwung gab und dann mit einem lockeren Satz in die Zelle hüpfte und im Raum zwischen den beiden Betten zur Ruhe kam.
Jetzt wusste Muriel Sanders, dass es für sie kein Entrinnen gab…
***
Geräusche hatten die beiden Frauen nur von draußen gehört. Im Innern der Zelle hatte sich der Eindringling bisher lautlos verhalten. Es war auch kein Aufprall zu hören gewesen. Die Gestalt schien gewichtslos zu sein und nur aus einer schwarzen amorphen Masse zu bestehen, die sich den gegebenen Situationen perfekt anpassen konnte.
Diese Gestalt jagte Muriel Sanders eine höllische Angst ein. Sie hatte sie jetzt gesehen und erlebt, und sie sollte sich dabei vorstellen, dass dieses Wesen der Erzeuger des Kindes war, das sich noch im Leib ihrer Mitgefangenen befand?
Unglaublich, unmöglich. Wobei sie sich beim letzten Wort nicht mehr so sicher war, denn auch weiterhin würde Julia Coleman dies auch steif und fest behaupten. Außerdem sah sie ihn mit ganz anderen Augen an, denn sie streckte der Gestalt eine Hand entgegen und streichelte dabei die schwarze Masse.
Muriel schaute zu. Trotz ihrer Furcht wollte sie alles sehen und genau mitbekommen. Sie beobachtete, dass Julias Hand die Schwärze nicht nur berührte, sondern sogar in sie hineinglitt, was für Muriel unbegreiflich war.
Wenn so etwas geschah, dann konnte die andere Gestalt keine feste Form besitzen. Dann war sie wirklich nicht mehr als ein Schatten.
Sie hielt den Atem an. Schaute auf Julia. Die nahm von ihr keine Kenntnis mehr. Zwar hatte sie sich äußerlich nicht verwandelt, doch in ihrem Innern musste sich etwas getan haben. Sie fühlte sich so wohl und sicher, denn auf ihrem Gesicht malte sich ein Lächeln ab. Der Mund war in die Breite gezogen, die Augen funkelten. Sie genoss diese Nähe zu dem Schatten wie andere Frauen die Anwesenheit eines Liebhabers.
Unglaublich…
Muriel brachte es auch nicht fertigt, sie danach zu fragen. Sie wollte nicht stören. Es war schließlich Julia, die das Wort übernahm.
»Ist er nicht wunderbar?«
Muriel glaubte, sich verhört zu haben. Ich werde irre, dachte sie. Wie redet sie? Oder ist sie verrückt?
»Julia…?«
Sie hörte nicht, sondern lächelte weiter. Die Augen hatten dabei einen besonderen Glanz bekommen, als wäre sie in tiefe Träume versunken.
Muriel suchte nach Worten, um die Freundin aus ihrem Zustand zu befreien. Was sie hier erlebte, das gehörte nicht mehr in den Bereich der Normalität. Julia war von einer Macht gefangen. Sie erlebte nicht mehr das, was ein Mensch normalerweise erlebt. Sie schien tief in eine andere Welt eingetaucht zu sein.
Im nächsten Moment weiteten sich Muriels Augen. Der dunkle Schatten zitterte wieder. Er huschte zurück und sprang, ohne dass er den Boden berührte, längs durch die Zelle, bis er die Tür erreichte und dort stehen blieb.
Er richtete sich auf.
Beide Frauen hatten die Köpfe gedreht, um ihn anzublicken. So erlebten sie, wie der dämonische Schatten anfing, sich zu verwandeln.
Er streckte sich.
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