117 - Die Pranke der Sphinx
und breit. Der lehmbraune Tempel stach
wie eine fremdartige Burg aus dem Wüstensand heraus. Ganz in seiner Nähe gab es
einen tiefen Krater, den Kunaritschew auf mindestens dreißig Meter schätzte.
Und er hatte einen noch größeren Durchmesser.
Morna und Iwan nahmen mit allen Sinnen die Umgebung auf.
Innerhalb von Stunden lag eine neue Welt vor ihnen. Sie
kamen aus dem hektischen, brodelnden Leben der Großstadt eines anderen Landes —
und hielten sich schon jetzt mitten in einer trostlosen, öden Wüste auf, die
viele Flugstunden von New York entfernt lag.
Iwan setzte schließlich zur Landung an, wartete, bis der
feine Sand sich gesenkt hatte und meinte dann: »Ich seh' mich mal um.« Er
deutete auf das zerfetzte Zelt und die seltsamen, riesigen Eindrücke im
Sandboden — große, eckige Mulden, von denen es nur noch einige gab. Der ewige
wehende Wüstenwind hatte die riesigen Abdrücke der steinernen Sphinx fast
wieder mit Sand aufgefüllt, und die Mulden waren nur noch niedrig. Dennoch
weckten sie das Interesse des Russen und der Schwedin.
»Brust raus, Bauch rein«, kommandierte Iwan. »Und dann
ran an das Gewehrchen!
Falls irgend etwas sein sollte, ziele gut! Es könnte
sein, daß ich mich in der Nähe aufhalte.« Er grinste. Mit seiner Art von
Galgenhumor war Morna bestens vertraut.
Iwan Kunaritschew stapfte durch den Wüstensand. Es war
noch immer hell genug, um die Spuren der Verwüstung deutlich sehen zu können.
Zerrissene Zelte, umherliegende Pickel. Meißel und Hämmer, Papiere, die eine
dünne Sandschicht verbarg — Iwan buddelte alles heraus. Dabei waren Koffer,
Kleider und Bücher, wie Archäologen sie brauchten. Dann stieß er auf ein
Gepäckstück, das er nur zu gut kannte, da er ein gleich aussehendes besaß: das
Agentengepäck seines Freundes Larry!
Der Koffer war nicht mal geöffnet worden. Unmittelbar
nach seiner Ankunft mußte X-RAY-3 in Ereignisse hineingezogen worden sein,
deren Spuren sie nun sahen.
Die Lippen des Russen waren zusammengepreßt und hinter
den verwilderten, roten Bart nicht zu sehen.
Iwan bückte sich, nahm eine Zeltstange und stocherte
damit wie mit einer Sonde in den Mulden. Er glaubte, daß hier eventuell Stellen
sein konnten, die von den Archäologen abgesucht worden waren, ehe sie den
richtigen Punkt fanden.
Iwan irrte. Und auch daran dachte er. Die Mulden waren zu
groß, und es waren ihrer zuviele. Sie erinnerten an mächtige Fußabdrücke, und
der Gedanke, daß durch Unvernunft und Unterschätzung möglicherweise die
legendäre Sphinx, die X-RAY-1 in Betracht zog, bereits durch die Wüste
wanderte, daß sie aus dem Sand aufgestiegen war wie ein Phönix aus der Asche,
setzte sich in ihm fest.
Die ganze Stimmung, die Atmosphäre stimmte nicht. Etwas
Unbeschreibliches war geschehen. Es lag in der Luft, und Iwan spürte es beinahe
körperlich. Ein feinsinniger Mensch, der sich eine Antenne für das
Ungewöhnliche und Übernatürliche bewahrt hatte, merkte sofort das Unheimliche, das
diesen Ort berührt hatte.
Von den zerrissenen Zelten und den zugewehten eckigen
Mulden ging er zum Krater und lief an dessen Rand entlang. Noch befand der
Russe sich auf Rufweite, das kleine handliche Sprechgerät steckte jedoch
aktiviert in seinem Gürtel, um jeder Eventualität Rechnung zu tragen.
Sicherheit vor allem, hieß die Devise, die X-RAY-1 ausgegeben hatte.
Leise rieselte der Sand in die Tiefe des Kraters, der
sich nach unten kaum merklich verengte.
Es war ausgeschlossen, daß die Archäologen in der Kürze
der Zeit diesen Krater gegraben hatten. Entweder war er schon vorher da
gewesen, oder er war erst vor wenigen Stunden entstanden.
Alles war ein einziges, unlösbares Rätsel, wie es schien.
Die Wüste schwieg. Das lehmbraune Gemäuer ragte wie die Reste einer alten Burg
aus dem ewig in Bewegung sich befindlichen Sand.
Im Umkreis von zunächst fünfzig Metern suchte
Kunaritschew alles ab, um sich ein Bild machen zu können, was sich hier
abgespielt hatte.
War ein Sandsturm über das Lager hinweggebraust?
Er stocherte mit einer Stange mechanisch in einer Mulde
und zuckte plötzlich zusammen. Da war ein Widerstand!
X-RAY-7 bückte sich und grub mit den bloßen Händen
weiter. Er warf die Sandmassen zurück zwischen seine Beine, daß Morna im
Hintergrund lachend die Bemerkung machte, er erinnerte sie irgendwie an einen
Hund, der sich ein Loch scharre, um sein Geschäft zu verrichten.
Iwan sagte nichts darauf. Er fühlte schon etwas
Nachgebendes, Kleider ...
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