117 - Die Pranke der Sphinx
Erläuterungen im Papyrus, und
für einen Augenblick sah er völlig klar und konnte die blutberauschten Gedanken
des Fordernden verdrängen.
Ich bin ich! Ich möchte frei sein ...
Ein Name kam ihm in den Sinn. Ikhom-Rha! Der
geheimnisvolle Priester, der in Yson-Thors Leben eine bedeutende Rolle spielte,
die er nie ganz durchschaut hatte, fiel ihm wieder ein, und die Textzeile, nach
der er nach der Gefangennahme seiner Seele in den morschen, verwesenden Leib,
so oft vergebens gesucht hatte.
Dreimal mußte er den Namen nennen, aber er konnte nicht
sprechen, weil der Mund der Mumie verschlossen war, weil dieser Körper nicht
ausdrücken konnte, was er durchmachte und durch welche Hölle seine Seele ging.
Er konzentrierte sich auf den Namen. ›Ikhom-Rha!
Ikhom-Rha! Ikhom-Rha!‹ Aber da war noch etwas. ›Der ewigen Göttin
Isis hast du die Treue geschworen. Erlöse einen Unglücklichen!‹
Plötzlich geschah etwas Merkwürdiges.
Ein unerhörtes Rauschen brach an, als würden Schwärme von
Vögeln aufsteigen.
Aus dem dunklen Kerker, in dem er gefangen war, wurde
seine Seele herausgeschleudert wie ein Schatten — suchte und fand wieder die
Verbindung zu dem vertrauten Körper in dem Sarkophag!
Während Mario Centis im Innern des nachtschwarzen
Sarkophags seine Augen aufschlug und erwachte wie ein Vampir, der plötzlich
Verlangen nach Blut verspürte und erkannte, daß seine Stunde gekommen war,
brauchte der verzauberte Körper des Yson-Thor ein neues Opfer.
Und er fand es. In Iwan Kunaritschew...
Der Russe fühlte noch die bleierne Schwere, die seine
Glieder plötzlich erfaßte.
Seine Hand, welche die Waffe hielt, die Linke, welche den
Lichtstrahl auf die Mumie richtete, sanken herab wie leblos. Und seine Seele
floh aus seinen Körper und wurde aufgenommen vom schrecklichen Leib des nach
Blut dürstenden Gott-Königs.
Iwan Kunaritschew alias X-RAY-7 brach auf der Stelle wie
ein gefällter Baum zusammen.
Es gab einen dumpfen, kratzenden Ton im Lautsprecher des
Funkgeräts. Morna schaltete sofort. »Hallo, großer russischer Bär?« fragte sie.
»War das dein dezentes Stöhnen oder bist du im Dunkeln gegen eine Mauer
gerannt?«
Sie drückte wieder den Empfangsknopf und erwartete eine
Antwort.
Totenstille!
Die Lippen der Schwedin wurden schmal.
Angespannt blickte sie in die Dunkelheit, entfernte sich
ein paar Schritte mehr von dem Helikopter, nahm ihre handliche Damen-Laser und
entsicherte sie. Als nächstes aktivierte sie die Weltkugel an dem Goldkettchen,
meldete sich und gab bekannt, daß Iwan Kunaritschew sich trotz der Vereinbarung
nicht mehr meldete, obwohl er sich erst vor einer Minute in die geheimnisvolle
Gruft begeben hatte. Was für eine Gefahr lauerte dort, daß selbst der
vorgewarnte Russe sie nicht rechtzeitig erkannt hatte?
Morna Ulbrandson wollte nicht den gleichen Fehler begehen,
sich nur dem Rand des Walls nähern und von weitem einen Blick riskieren.
Ihre Unruhe nahm zu. Mit jedem Schritt, den sie weiter
ging, wurde die Anspannung größer. Sie wußte, daß sie sich nicht genau an die
Abmachungen hielt.
Sollte einem etwas zustoßen, dann sollte der andere
sofort den Helikopter starten und den unheiligen Ort verlassen ...
Aber wie konnte sie einfach so handeln, ohne sich
Gewißheit zu verschaffen, was mit Iwan passiert war?
Zweifel plagten sie. Sie schilderte jeden Schritt, ihre
Annäherung an den Wall aus Sand, dahinter sich das uralte Gemäuer erhob, in dem
Yson-Thor seine letzte Ruhe gefunden hatte.
Sie vernahm das leise Knirschen. Aber das war nicht das
Knirschen ihrer Schritte.
Da ging jemand hinter ihr.
Sie warf sich herum und erschauerte.
Die glosenden Augen der Mumie, der mächtige, bandagierte
Körper mit den Brandflecken! Wie Spinngewebe hingen einige der verrotteten
Bandagen herab, wie Auswüchse ...
Morna schilderte ihre Begegnung
detailliert, damit sie in New York erfuhren, was sich
hier abspielte, für den Fall, daß es keine spätere Gelegenheit mehr gab.
War dieses Ungetüm auch all den anderen begegnet?
Die Schwedin wich zur Seite aus. Sie schlug jetzt eine
andere Richtung ein, um zu verhindern, daß sie die Treppe hinabgedrängt wurde.
Immer an den Erdwällen entlang, damit sie die freie Wüste
hinter sich bekam. X-Girl-C mußte versuchen, zum Helikopter zu kommen. Aber der
Winkel nach dort war ihr abgeschnitten. Das lautlos sich bewegende Ungetüm, das
keine Antwort gab, wenn man es ansprach, kam bedrohlich näher, und hatte die
Arme ausgebreitet.
Da
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