1170 - Abgrund unter schwarzer Sonne
sich überhaupt bewegten, war nur zu erkennen, wenn man länger hinsah. Sie waren einer hinter dem ändern angeordnet. Wenn es sich wirklich um die Orterreflexe von Raumschiffen handelte, dann flogen diese in einer Formation, die man früher den Gänsemarsch genannt hatte.
Je länger ich das Bild anblickte, desto eigenartiger wurde mir zumute. Der Beweis lag noch nicht vor, aber für mich gab es längst keinen Zweifel mehr, daß es wirklich Schiffe waren, die dort ihre Bahn zogen: einsam, verloren, verzweifelt.
Teile ihr Leid, trinke ihre Verzweiflung. Warum gingen mir diese Worte durch den Sinn? Ich glaubte, die verlorenen Schiffe vor mir zu sehen: mit verschrammten Hüllen, defekten Triebwerken, Besatzungen, die längst alle Hoffnung aufgegeben hatten. Ich stellte mir vor, daß sie schon seit unzähligen Jahren unterwegs waren, die Orientierung verloren hatten und den Weg nach Hause nicht mehr fanden - eine vergessene, verdammte Schar. So lebhaft malte ich mir das erbärmliche Schicksal der fremden Raumschiffsbesatzungen aus, daß mir die Tränen in die Augen stiegen. Halt!
Ich sah mich um. Gesil saß am Tisch, den Kopf in die Hände gestützt. Sie wirkte niedergeschlagen. Perry hatte sich in seinem Sessel umgewandt. Nachor stand hoch aufgerichtet.
Sie beide musterten mich. Ich muß in diesem Augenblick ziemlich verdattert dreingeschaut haben. „Was ist es?" fragte Perry. „Was spürst du?"
„Trauer", würgte ich hervor. „Mitleid mit den Besatzungen der fremden Schiffe."
Perry nickte, dann wandte er den Blick in Nachors Richtung. „Du?"
Der Armadaprinz schüttelte den Kopf. „Nichts", antwortete er. Perry wies auf Gesil. „Ich ebenfalls nicht", sagte er. „Aber ihr geht es genauso wie Jen."
Ich begriff, worauf er hinauswollte. Es war nicht schwer zu sehen, daß Gesil auf das Orterbild in derselben Weise reagierte wie ich. Mehr noch: Dem Orterspezialisten mußte es ebenso ergangen sein wie uns. Warum hätte er sonst den Nachsatz hinzugefügt: Ich habe noch nie im Leben eine traurigere Versammlung von Raumschiffen gesehen? Was an einem Orterbild konnte den Eindruck von Trauer vermitteln? Die Darstellung bestand aus Lichtpunkten, vom Computer sichtbar gemachten Hyperenergieimpulsen. Sie waren wertund emotionsfrei. Wenn wir bei ihrem Anblick etwas empfanden, dann war ganz eindeutig die eigene Phantasie die Quelle der Empfindungen.
Auf den Orterspezialisten hatte die Szene traurig gewirkt, auf Gesil und mich ebenfalls. Es war das gleiche Muster, das wir schon einmal erlebt hatten. Perry und Nachor blieben verschont. Sie trugen die Armadaflamme. „Hamiller", rief Perry einem akustischen Servo zu. „Ich höre, Sir", antwortete die melodische Stimme der Hamiller-Tube. „Ich brauche einen Überblick über die Stimmung an Bord."
„Wie soll ich das verstehen, Sir? Wünschen Sie, daß ich eine Meinungsumfrage veranstalte?"
Es fiel mir auf, daß Sato Ambush inzwischen verschwunden war. Still und heimiich hatte er sich zurückgezogen. Ich nahm an, daß Chmekyrs Auftauchen und das unerwartete Erscheinen der fremden Flotte ihm neue Denkanstöße gegeben hatte. Wahrscheinlich saß er im Labor über seinen pararealistischen Berechnungen. „Ich will nur deinen Eindruck", antwortete Perry. „Sieh dich in ein paar Räumen um, in die du Einblick hast, und berichte mir, ob die Menschen normal, fröhlicher als normal oder trauriger als normal sind."
„Sie sind trauriger als normal", berichtete Hamiller ohne Zögern. Er brauchte nur ein paar Millisekunden, Umschau zu halten und Physiognomien zu analysieren. „Und falls es Sie in diesem Zusammenhang interessiert: Mehrere Mitglieder der Freiwache haben es unternommen, Gedichte zu produzieren. ,Ode an die Einsamkeit', ,Das Lied des Verlorenen', ,Der Gesang der Trauernden'. Solcherart sind die Titel, die den Gedichten gegeben werden. Ich nehme an, daß das zu Ihrer Anfrage paßt. An Bord der BASIS ist offenbar seit neuestem das Jammern die große Mode."
Perry reagierte darauf nicht. Unter normalen Umständen hätte die Hamiller-Tube nach ein paar Sekunden von sich aus die Verbindung getrennt. Diesmal aber wartete sie geduldig, und als eine halbe Minute verstrichen war, ohne daß sie jemand angesprochen hatte, sagte sie: „Ich weiß nicht, ob in diesem allgemeinen Zustand der Trauer eine andere Beobachtung überhaupt noch von Bedeutung ist."
Perry sah auf. „Welche?" fragte er knapp. „Eines der unbekannten Fahrzeuge funkt uns an."
„Inhalt der
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