1171 - Emilys Engelszauber
Hilfe.«
»Ich will nicht immer bleiben.« Plötzlich entspannte sich ihr Gesicht, und sie hob dabei leicht vom Boden ab, wie in ihrer Zelle. »Ich mag die Welt nicht. Man wird mich holen, darauf könnt ihr euch verlassen. Aber zuvor muss ich noch etwas erledigen. War nett, dich kennen gelernt zu haben, Glenda. Du bist nicht wie die anderen…«
Sie war bereits unterwegs, und auch mich hielt nichts mehr an meinem Platz. Ich stürmte auf sie zu, das Kreuz lag jetzt frei, aber Emily war schneller als ich. Sie hatte sich nicht umzudrehen brauchen, denn sie wusste auch so, wo die Fenster hier unten lagen. Mit einer geschmeidigen Bewegung, die zudem irgendwie körperlos aussah, berührte sie die Scheibe, die kein Hindernis darstellte.
Ich kam zu spät, und auch mein Kreuz dachte nicht daran, Emily zurückzuhalten. Sie war keine Feindin, denn irgendwo gehörte sie bereits zu den feinstofflichen Wesen, die auch auf meinem Talisman Spuren hinterlassen hatten.
Dann war sie weg!
Hinter dem Fenster leuchtete noch einmal für einen winzigen Augenblick das weiße Licht auf, aber es hatte keine Gestalt und keinen Umriss mehr, denn es verflüchtigte sich und drang hinein in den Park mit den hohen Bäumen.
Glenda Perkins war zur Tür gerannt und hatte sie aufgezogen. Sie blieb auf der Schwelle stehen und lief nicht nach draußen, denn es hatte auch für sie keinen Sinn.
Ich ging erst gar nicht zu ihr. Was Emily sich in den Kopf gesetzt hatte, das würde sie auch durchführen. Wir mussten uns eingestehen, dass wir verloren hatten.
»Jetzt ist sie weg!«, erklärte der blinde Amos mit lauter Stimme. »Jetzt ist sie weg. Ich spüre und sehe sie nicht mehr. Sie wird ihren Weg gehen, und sie wird irgendwann wiederkommen. Und dann«, flüsterte er, »ja dann nimmt sie mich mit.«
Dagegen war nichts zu sagen. Amos schien mehr über Emily zu wissen, und deshalb fragte ich ihn. »Wo kann sie hingegangen sein?«
»Weiß nicht…«
»Einen Tipp - bitte.«
»Nein - geht nicht.«
»Wir wollen ihr nichts Böses.«
Er hob den Kopf an wie jemand, der sehen kann. Sekundenlang passierte nichts. Er schaute mich an, er forschte, und dann, als er zu einem Ergebnis gekommen war, da nickte er.
»Ja, ich vertraue dir. Ich würde dir auch etwas sagen, aber ich weiß es wirklich nicht. Es sind keine Geister mehr da!« Amos wechselte das Thema. »Sie umkreisen das Haus nicht mehr. Ich kann sie nicht hören und fühlen. Sie sind weg. Emily hat sie vertrieben. Sie hat alle bösen Geister verscheucht. Wir müssen ihr danken. Das Haus hier ist so wunderbar frei…«
Was immer er auch damit meinte, ich verstand es nicht. Wir hatten von anderen Geistern nichts gesehen. Vielleicht hatte Amos sie sich auch nur eingebildet.
»Ist schon okay«, sagte ich und dachte daran, dass sich noch eine andere Person hier unten aufhielt. Dr. Gillian Foster hatte Emilys Kraft voll erwischt. Sie lag nicht mehr über dem Schreibtisch. Jetzt hatte sie sich hingesetzt, doch die Hände hielt sie noch immer vor ihr Gesicht gedrückt.
Glenda war nach draußen gelaufen. Auch wenn sie im Park umherstromerte, sie würde Emily nicht finden. Die wusste genau, was sie zu tun hatte. Sie würde ihre Pläne in die Tat umsetzen, und uns interessierte, was das für Pläne waren.
Selbst als ich vor Dr. Foster stehen blieb, nahm sie die Hände nicht herunter. Ich hörte, dass sie leise weinte. Die Brille hatte sie verloren.
Sie lag neben ihr auf dem Schreibtisch.
»Doktor…«
Das Weinen hörte auf. »Lassen Sie mich in Ruhe - bitte.« Sie hatte die Handballen etwas weggedrückt, damit sie hörbar reden konnte. »Lassen Sie mich, verdammt. Durch Sie ist alles so gekommen, wie es kam. Begreifen Sie das nicht?«
»Nein, Ich denke, Sie erliegen einem Irrtum. Es wäre auch ohne unseren Besuch so weit gekommen.«
Ich hörte sie heftig atmen. Dann senkte sie plötzlich ihre Hände. Das geschah auch für mich überraschend. Da ich in ihrer unmittelbaren Nähe stand, konnte ich sehen, was mit ihr passiert war. Ich sah sie zum ersten Mal ohne Brille. Sie hätte auch normal ausgesehen, aber nicht nach der Begegnung mit Emily.
Die Patientin hatte sich an Gillian Foster gerächt, denn sie war blind geworden.
Obwohl sie versucht hatte, mit den Händen ihr Gesicht zu schützen, war es ihr nicht gelungen.
Die Grausamkeit des Anblicks verschlug mir die Sprache. Aber nicht der Ärztin.
»Sehen Sie, was Emily mit mir gemacht hat? Ich kann nichts mehr sehen. Das heißt, ich sehe nur mehr ein
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