1174 - Blut für Ludmilla
nicht, um zu beißen, sondern um seinen Schreien freie Bahn zu lassen.
Es waren Schreie, wie sie die Menschen hier noch nie zuvor gehört hatten. Sie sahen, wie es in seinem Gesicht aufglühte, wo er von meinem Kreuz getroffen worden war. Plötzlich brannte dort die Haut, und ein widerlicher Geruch wehte uns entgegen. Es war der Gestank nach verbranntem Fleisch.
Ich war zurückgetreten. Ein letztes Zucken noch schüttelte den Körper des Blutsaugers, dann lag die Gestalt still. Sie würde sich auch nicht mehr erheben, denn diesmal war sie nicht nur endgültig gestorben, sondern auch erlöst worden.
Ich steckte das Kreuz wieder weg. Dabei schaute ich mir die Gesichter der Männer an. Sie spiegelten ihre Empfindungen wider. Angst und das absolute Nichtbegreifen. Sie waren blass wie Leichen geworden und nicht fähig, ein Wort zu sagen.
Der Pope schaute den erlösten Vampir an. Dessen Augen standen offen. Es fand sich niemand, der sie schloss, und Radu schüttelte ganz langsam den Kopf.
»Haben Sie es gesehen?« fragte ich ihn.
»Ja«, antwortete er und nickte. »Ja, ich habe es gesehen, und ich habe das Gefühl, in einem Film gewesen zu sein. Auch jetzt kann ich nicht fassen, dass es die Wirklichkeit gewesen ist.« Er schluckte. »Das ist grauenvoll.«
»Das Leben besteht nicht nur aus positiven Wahrheiten. Hier haben wir den Beweis bekommen, dass es die Blutsauger tatsächlich gibt. Ich möchte, Radu, dass Sie mit den Menschen aus dem Ort reden. Man kennt Sie. Man vertraut Ihnen. Bis zum Anbruch der Dunkelheit müssen sie wissen, was ihnen bevorsteht.«
»Ja, das ist zu schaffen. Was machen Sie?«
»Ich warte ebenfalls auf die Dunkelheit.«
»Und wo?«
»Wenn mich nicht alles täuscht, habe ich so etwas wie eine Kneipe gesehen.«
»Ja, das ist der Lebensmittelhändler. Er schenkt auch Bier oder anderes aus.«
»Ich werde dort warten.«
Das passte dem Popen nicht. »Warum wollen Sie nicht mitkommen, wenn ich mit den Leuten rede?«
»Weil ich fremd bin. Außerdem gibt es vier Zeugen. Bleiben Sie bitte in deren Nähe. Und Sie sollten auch mit den Angehörigen sprechen. Kennen Sie die Eltern?«
»Ja, sehr gut sogar. Sie kamen immer zur Kirche. Es war übrigens ihr einziges Kind.«
»Umso schlimmer.«
»Was machen wir mit dem Toten?«
»Bahren Sie ihn auf und begraben Sie ihn, wenn der verdammte Spuk hier vorbei ist.«
»Und Sie glauben, dass Sie es tatsächlich schaffen, John?«
Ich lächelte knapp, bevor ich sagte: »Wäre ich sonst hier nach Ogonin gekommen?«
»Stimmt auch wieder…«
***
Ich beneidete meinen neuen Verbündeten keineswegs um seinen Job, aber es gab keine andere.
Möglichkeit. Die Menschen mussten endlich mit der Wahrheit konfrontiert werden und durften nicht mehr daran glauben, dass die nicht verweste Leiche der Ludmilla Marek eine Heilige war.
Ludmilla Marek. Ich dachte besonders über den Nachnamen nach und wusste auch, dass der Pfähler da noch einiges aufzuarbeiten hatte, was seine eigene Herkunft anging. Dass er im Krankenhaus lag und nicht dabei sein konnte, war für ihn bestimmt schrecklich. Andererseits brauchte er die Ruhe, aber bei mir hatte sich schon eine Idee entwickelt, die ich in die Tat umsetzen würde, wenn sich die Voraussetzungen erfüllten.
Ich stieg wieder in den Wagen und fuhr allein in den Ort. Der Abend hatte den Tag bereits abgelöst.
Abendliche Stille empfing mich. Im Westen hatte sich die Sonne in einen roten Ball verwandelt, der irgendwann in nächster Zeit hinter dem Horizont verschwinden und erst am nächsten Morgen wieder auftauchen würde.
Ich sah nur wenige Menschen im Freien. Die Kneipe, die ich im Auge hatte, lag an der Hauptstraße.
Es war keine Gastwirtschaft im eigentlichen Sinne. Der Besitzer verkaufte Lebensmittel und schenkte auch Getränke aus. Vor seinem Geschäft hatte er drei runde Bistrotische aufgebaut. Man konnte auch im Laden seinen Durst löschen.
Der Besitzer hieß Mirko. Das stand auf einem verblassten Schild über dem Eingang. Ich hatte meinen Wagen in der Nähe abgestellt und war die wenigen Schritte zu Fuß gelaufen. Auch Radu und die vier Männer hatten das Dorf mittlerweile betreten, allerdings an einer anderen Stelle. Wo sie sich versammeln würden, wusste ich nicht. Es gab sicherlich einen Raum.
Ich betrat den Laden, in dem es ziemlich warm war. Eine Kühltheke gab es nicht. Zumindest keine moderne. Die Getränke lagen in einem Steinbottich, der mit Eis gefüllt war. Das meiste davon war schon geschmolzen. Deshalb
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