1174 - Duell der Kosmokraten
Gebäude. Er mäßigte seine Geschwindigkeit erst, als er den Wohnbezirk hinter sich gelassen hatte.
Hatte es sich dabei um einen Stadtteil von Terrania gehandelt? Das wohl kaum, eher um irgendeine weiter draußen liegende Satellitenstadt, denn der Stadtkern von Terrania war fest in Vishnas Hand, das Hauptquartier der Hanse war zum Virenhorst geworden.
Da war ein Kristallwald, Chthon drang in ihn ein. Die Kristalle bildeten hohe Säulen, krumm und spiralartig gedreht. Zwischen ihnen spannten sich Bögen in verschiedener Höhe, so daß gewölbeartige Räume und Gänge entstanden. Es raschelte und wisperte aus allen Winkeln, und gelegentlich tauchten da und dort seltsame, possierliche Geschöpfe auf, die irgendwelchen undefinierbaren Beschäftigungen nachgingen.
Er gab ihnen Namen. Er nannte sie Kristallschleifer und -nager, aber auch Lampenputzer, weil sie den Kristallen zu vielfarbigem Feuer verhalfen, oder Steinbeißer, weil sie Kristalle mühelos knackten.
Vor ihm tat sich eine Lichtung auf, eine mächtige, kristallene Kathedrale. Chthon verhielt den Schritt und hielt sich im Schutz einer Kristallspirale.
Auf der Lichtung hatten sich Fremde versammelt. Es wimmelte nur so von ihnen, es waren Tausende - und alle von der gleichen Art. Sie hatten borkige, annähernd ovale Körper von olivgrüner Farbe, die durch verschiedene Öffnungen in den violetten Gewändern schimmerte. Am oberen und unteren Ende saß eine Art Buckel. Aus dem oberen Buckel ragten vier Arme, aus dem unteren zwei Beine. Die reliefartig hervorgewölbten Köpfe mit den Gesichtern saßen in der Körpermitte.
Zuerst schien es für Chthon, als sei unter diesen Wesen ein Tumult ausgebrochen. Doch dann erkannte er, daß sie einander helmartige Gebilde zureichten und sich diese auf die oberen Buckel setzten. Das wirkte reichlich grotesk. Jene Wesen, die behelmt waren, setzten sich in Bewegung.
Chthon folgte ihnen und stellte fest, daß ihr Ziel ein Zeitturm am Rand des Kristallwalds war. Und ganz in der Nähe erhob sich der häßliche Komplex von Vishnas Virenhorst.
Der Anblick des Zeitturms erinnerte ihn daran, daß er sich zu Ernst Ellert begeben wollte. Er brauchte jemanden zum Reden.
So sehr Chthon seine Probleme auch verdrängte, sein Dilemma war darum nicht kleiner geworden. Ihn plagten Gewissensbisse noch stärker als zuvor.
Er suchte sich entlang des Virenhorsts einen Weg. Als ein Zeitturm vor ihm auftauchte, rief er mit seiner Mentalstimme: „Ich suche Stein Nachtlichts Zeitturm!"
Chthon wartete - und prompt tauchte ein Ordensmann auf. Er war größer als Qual Kreuzauge und womöglich noch dünner. Sein schlotternder Staubmantel schillerte in tiefem Grün, in der Schwärze unter seiner Kapuze irrlichterte es heftig.
Der Ordensmann hob beide Arme und winkte ihn zu sich.
„Ich bin Grau Worttreu", stellte sich der Ordensmann vor. „Und ich weiß, wer du bist. Du bist Chthon, der vierdimensionale Schatten von Taurec."
„Ich möchte zu Stein Nachtlicht", sagte Chthon.
„Sein Zeitturm ist weit von hier", erwiderte Grau Worttreu und kam näher. Chthon machte das nichts aus, er wußte, daß ihm der Ordensmann nichts anhaben konnte. Dieser fuhr fort: „Du kannst dich mir ebenso anvertrauen wie ihm, denn ich stehe auf derselben Seite."
„Du meinst, du bist ein Verbündeter der Terraner?" fragte Chthon. „Kannst du das beweisen?"
„Mein Name drückt es aus, daß ich nicht lügen kann", sagte Grau Worttreu.
„Führe mich zu Stein Nachtlicht. Ich muß mit einem Freund reden, dem er Asyl gegeben hat", bat Chthon. „Ich muß dringend mit ihm reden."
„Über deine Probleme?" fragte Grau Worttreu. „Das kannst du auch mit mir. Ich bin ein guter Zuhörer. Und ich glaube, ich kann dir auch gültige Antworten geben, denn ich kann auf das Wissen des Virenimperiums zurückgreifen. Ich sehe, wie du leidest, Chthon, und das schmerzt mich. Dabei ist alles so einfach."
„Einfach!" rief Chthon aus. „Ich müßte zwischen Pflicht und Selbsterhaltung entscheiden.
Aber ich will beides."
„Komm", sagte Grau Worttreu und wandte sich seinem Zeitturm zu, ohne darauf zu achten, ob Chthon ihm folgte.
Chthon hatte Zutrauen zu dem Ordensmann gefaßt, darum kam er der Aufforderung nach. Grau Worttreu fuhr fort: „Du müßtest dich einmal fragen, was schwerer wiegt, was wichtiger ist, einmal ganz objektiv betrachtet. Deine Identität, deine Existenz bedeutet dir sehr viel. Aber nur dir.
Doch was bist du, wenn du nirgendwo als bei dir selbst
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