1175 - Zeitbeben
nicht völlig taub zu werden. Nach etwa anderthalb Minuten tauchte im unteren Drittel der Galerie ein grünschillerndes Etwas auf, das nach einer weiteren Zeitspanne als das Staubgewand des Ordensmanns zu erkennen war.
Stein Nachtlicht bewegte sich bedächtig weiter abwärts. Auf Bodenniveau angekommen, wandte er den Besuchern sein „Gesicht" zu: die vertraute Schwärze in der Kapuzenöffnung mit den ebenso vertrauten weißen Funken darin.
Der Ordensmann hob die Arme bis auf Schulterhöhe und ähnelte in dieser Pose entfernt einer riesigen grünen Eule.
„Mein Zeitturm arbeitet weiter als Lenkimpulsverstärker, aber ich habe keinerlei Einfluß mehr auf seine Funktionen", berichtete er mit monotoner Flüsterstimme. „Es scheint fast, als würde diese eine Funktion von den virotronischen Computerschaltkreisen angeregt.
Das beschämt mich, denn wenn es so ist, sind die menschlichen Komponenten das einzige im gesamten Virenimperium, das noch zuverlässig arbeitet."
Roi Danton wußte, daß die Ordensmänner mit „Virenimperium" nicht nur den ursprünglichen Riesencomputer meinten, sondern auch die Milliarden Minierden mit den vernetzten Menschen dazurechneten, deshalb gab er sich nicht der Illusion hin, das Virenimperium im Weltraum hätte seinen Schock überwunden.
„Dann haben sie wahrscheinlich den endgültigen und irreparablen Zusammenbruch bisher verhindert", erklärte er. „Es ist ihnen aber offenbar ebenso wahrscheinlich nicht möglich, die Ursache der Zeiteinbrüche zu beseitigen, denn die setzen sich unvermindert fort und erfolgen aus immer fernerer Vergangenheit."
Stein Nachtlicht ließ die Arme sinken.
„Dann ist alles verloren, meine Freunde."
„Aber wir dürfen nicht einfach aufgeben!" erregte sich Demeter. „Wir müssen irgend etwas unternehmen!"
„Wir sind machtlos", flüsterte der Ordensmann. „Wenn ein Schicksal als unabwendbar erkannt ist, hat es keinen Sinn, sich länger dagegen zu sträuben. Es muß hingenommen werden. Wenn wir vergangen sind, wird etwas anderes auf den Plan treten und die Fäden wieder aufnehmen."
Roi Danton seufzte.
Er wußte, daß die Philosophie der Ordensmänner durch die Hinnahme von Tatsachen geprägt war, aber alles in ihm revoltierte dagegen, sich diese Philosophie zu eigen zu machen - und plötzlich wußte er auch, was sie unternehmen mußten, um das Verhängnis vielleicht doch noch abwenden zu können.
„Wir müssen in die Zeitsohle gehen und Ernst Ellert veranlassen, von sich aus Verbindung mit dem Virenimperium aufzunehmen!" erklärte er entschlossen.
Stein Nachtlicht tappte unbeholfen näher.
„In die Zeitsohle willst du also, mein Freund. Oh, oh! Glaubt mir, ich habe es selbst versucht, schon um Ernst Ellerts willen, der verloren auf dem tiefsten Grund der Nullsohle liegt. Aber der Weg durch die Dimension der Zeit zum Big Bang und darunter hinab ist versperrt. Etwas, das selbst ein temporales Gebilde ist, hat ihn blockiert und widersetzt sich allen Versuchen, es zu durchbrechen." Der Ordensmann wackelte mit dem Kopf.
„Das Unheil war vorherbestimmt. Zu viele Fehler sind begangen worden. Dieses Virenimperium ist dem Untergang geweiht. Es wäre besser für euch, ihr würdet euch in euer und in unser aller Schicksal ergeben. Was verloren ist, muß vergehen. Wie sollte sonst etwas Neues und Besseres an seine Stelle treten können!"
„Wann?" schrie Roi verzweifelt. „In hundert Millionen Jahren? Oder in zehn Milliarden Jahren?"
„Für uns wird keine Zeit mehr vergehen - und für das, was an unsere Stelle tritt, wird die Zeit dann eben erst anfangen", philosophierte Stein Nachtlicht.
„Er hat recht", sagte Demeter resignierend.
„Natürlich hat er recht!" tobte Danton. „Aber wir haben nicht das Recht, aufzugeben, schon um der Milliarden Menschen willen, die dann verloren wären, aber auch um der Erde willen und wegen der Raumfahrer der Galaktischen Flotte, die gemeinsam mit meinem Vater für die Befriedung von Seth-Apophis kämpfen. Sie alle werden nicht aufgeben, solange sie leben. Das verpflichtet uns dazu, ebenfalls bis zum letzten Atemzug zu kämpfen, denn würden wir aufgeben, fielen wir ihnen in den Rücken."
„Du bist entschlossen, dich dem Schicksal entgegenzustemmen", stellte Stein Nachtlicht fest. „Da ich dich nicht davon abbringen kann, darf ich dich nicht allein lassen. Wir werden also gemeinsam in die Zeitsohle eindringen und versuchen, die Blockierung zu beseitigen.
Ich habe Herz Gutbrecht und Stahl Flammkern gerufen.
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