1183 - Visionen der Hölle
noch immer nicht heraus, und ich achtete auch nicht auf die Wärme, die mein Kreuz nach wie vor abgab, denn die Spiegel waren wichtiger.
Auf oder in ihnen spielten sich noch immer Szenen ab. Aus der Tiefe drangen die Schatten hoch, die leider Schatten blieben und nicht das zeigten, was sie in Wirklichkeit waren.
Tom Harding hatte von irgendwelchen Monstren gesprochen. So weit war es noch nicht. Schon jetzt fragte ich mich, ob Doria es wirklich schaffte, Tore zu anderen Welten zu öffnen, oder ob das alles nur eine Schau war und die Tore geschlossen blieben.
Kein Spiegel zerbrach. In den Flächen tobte nur ein regelrechtes Gewitter, allerdings ohne Blitz und Donner. Die Eruptionen waren durch die unheimlichen Schatten entstanden, die ihre bizarren Tänze nach wie vor durchführten.
Bis Doria aufhörte!
Das ging so schnell, wie der Tanz begonnen hatte. Es war schon fantastisch, wie sie mitten in der Bewegung einfach stoppte. Da gab es keinen Übergang zum anderen, und sie wurde durch die Bewegung auch nicht zu Boden geworfen.
Doria blieb auf den Beinen stehen. Sie warf den Körper zurück und schleuderte damit auch ihre Haare nach hinten. Danach bewegte sie sich wieder vor, und jetzt streckte sie auch die Arme aus.
Die Hände sackten ebenfalls ab. Sie berührten den Boden, wo sie als Stütze gedacht waren, denn Doria sank zusammen und nahm dabei eine embryonale Haltung an, was ihr bei ihrer Geschmeidigkeit der Glieder nicht schwer fiel.
So blieb sie auch sitzen. Die Beine angewinkelt und fast gegen den Körper gepresst, den Kopf gesenkt und die Stirn auf die Knie gedrückt. Eine Frau, die sich durch ihren Tanz völlig verausgabt hatte und nun darauf wartete, sich zu erholen.
Nur ungewöhnlich, dass ich ihr das nicht abnahm. Ich wusste den Grund selbst nicht so genau, aber ich konnte mich einfach nicht damit anfreunden.
Diese Tänzerin hatte mir schon zu viel gezeigt. Ich nahm ihr die Erschöpfung nicht ab.
Ohne dass jemand am Licht drehte, erlebte es wieder eine Veränderung. Die Schatten zogen sich zurück. Es wurde wieder heller, und es verteilte sich dabei auf der Tanzfläche, deren Mittelpunkt Doria bildete. Sie hatte sich so wild bewegt, und jetzt war das Gleiche eingetreten, wenn auch ins Gegenteil verdreht.
Sie blieb sitzen, ohne sich zu bewegen. Normalerweise hätte sie keuchen und atmen müssen. Sie musste einfach erschöpft sein. Das wäre jedem Menschen passiert, nur nicht bei ihr. Deshalb stellte ich mir die Frage, ob ich es bei ihr überhaupt mit einem normalen Menschen zu tun hatte.
Kein Laut drang über ihre Lippen. Eine Frau so stumm wie ein Fisch. Nichts. Kein Flüstern. Keine Worte, keine Erklärungen. Es war einfach nichts vorhanden. Sie blieb wie ein Stein sitzen und hätte in dieser Haltung auch als trauriger Engel auf einen Friedhof gepasst. Grabschmuck.
Die beiden Stammgäste hatten ebenfalls alles mit angesehen und sich nicht mehr bewegt. Die Überraschung musste sie so starr gemacht haben. Sie hielten sich an diesen Geländern fest, atmeten nur, aber sagten nichts.
Suko hob die Hand.
Er bewegte sich zur Seite und ging zu dem Mann hin, der die Perücke trug.
Erst als er ihn zweimal angestoßen und angesprochen hatte, erwachte der Typ aus seiner Lethargie.
»Ja, was ist denn?«
»Haben Sie alles gesehen?«
»Klar.«
»Auch den letzten Teil?«
»Er war fantastisch.« Der Zuschauer konnte seinen Blick nicht von der bewegungslosen Frau losreißen.
»Tanzt sie immer so?«, fragte Suko weiter.
»Nein, nein«, gab er zu. »Das ist heute einmalig gewesen. So etwas habe ich noch nie gesehen.«
»Auch das nicht, was in den Spiegeln zu erkennen war?«
»Ja. Oder?« Er zuckte mit den Schultern. »Was war das denn? Ich… ich… habe nichts erkennen können. Ich sah nur Doria und ihren wunderbaren Tanz. Er war so weltmeisterlich. Ich kann es nicht anders ausdrücken. Sie hat sich angestrengt, als wäre es der letzte Tanz in ihrem Leben. Aber sie ist nicht tot - wie?«
Suko lachte so hart auf, dass auch ich es hörte. »Nein, die ist nicht tot, die bestimmt nicht«, erklärte er mit einem harten Unterton in der Stimme, den der andere aber einfach überhörte.
»Wenn Sie wollen, können Sie gehen.«
»Warum denn?«
»Die Schau ist vorbei!«
»Nein, Mister, nein. Die Schau ist immer erst vorbei, wenn Doria es will. Ich werde von hier nicht eher verschwinden, bis ich ihr das zurückgegeben habe, das ihr gehört. Es ist ein Privileg, es bekommen zu haben.«
»Die Korsage, meinen
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