1186 - Der Henker vom Hamburg Dungeon
durchlaufen.
»Alles okay?«, fragte ich ihn.
Knudsen zuckte mit den Schultern. »So sieht es auf den ersten Blick aus. Ob es tatsächlich zutrifft, weiß ich nicht. Ich möchte diesen Karl Märtens einfach nicht aus den Augen lassen. Wenn ich ihn unter Kontrolle halte, haben Sie möglicherweise Ihre Ruhe.«
»Das hoffe ich. Und ich hoffe auch, dass Sie ihn finden.«
»Dabei kann mir Rico Wilde helfen.«
»Geben Sie trotzdem auf sich Acht!«, warnte ich ihn.
Er lächelte. »Klar, so leicht lasse ich mich nicht fertig machen.« Knudsen winkte mir kurz zu und drehte sich um.
Ich schaute ihm nach. Zweifel nagten an mir, ob wir den richtigen Weg eingeschritten hatten, aber das würde sich alles in naher Zukunft herausstellen.
Als Knudsen verschwunden war, kam auch mir in den Sinn, die Folterkammer zu verlassen. Hier würde ich nichts mehr finden, obwohl dieser Ort für eine mordlüsterne Gestalt wie den Schattenhenker ideal war. Die Strecke führte mich tiefer in das Labyrinth hinein und damit auch in einen anderen Teil der Hamburger Historie, der ebenfalls blutig war. Denn hier gab es nichts Normales.
Diesmal drangen mir andere Geräusche entgegen. Jemand sprach, ich hörte ein Lachen, vernahm ein Stöhnen und konnte den Eindruck haben, dass jemand auf mich lauerte.
Beim Weitergehen schaute ich mich um. Nach wie vor ging ich davon aus, dass ich es hier mit einem Killer-Phänomen zu tun hatte. Sollte sich Uwe Knudsens Verdacht ruhig auf den Scherenschnitt-Meister konzentrieren, ich glaubte trotz allem mehr an den Schatten. Er war ein Phänomen, das stimmte, aber er war nicht unmöglich. Ein Mensch hätte Spuren hinterlassen, bei diesen drei Morden hatte es leider keine gegeben.
Ich hatte die kurze Strecke zwischen den beiden Ausstellungsräumen rasch hinter mir gelassen und gelangte in eine neue Szenerie, die auf den ersten Blick nicht mal so schlimm wirkte.
Der Raum war lang gestreckt und wurde durch einen Gang in zwei unterschiedlich große Hälften geteilt. Die linke war für die Besucher gedacht. Dort mussten sie stehen und konnten dem zuschauen, was sich vor ihnen abspielte.
Ein langer Tisch, fast wie eine Theke. Dahinter sah ich ein mit Büchern vollgestopftes Regal. Allerdings war der Tisch keine Theke, sondern ein bestimmter Arbeitsplatz. Er musste einem Arzt oder Quacksalber gehören oder dem Vorgänger eines modernen Pathologen, denn auf dem Tisch lag eine Leiche.
Beim ersten Hinsehen wirkte sie sehr normal. Beim zweiten nicht mehr. Ich trat näher und erkannte, dass man den sehr gut nachgemachten Körper aufgeschnitten hatte. Die Besucher, die auf den Bänken saßen und zuschauten, würden nicht das sehen können, was ich zu Gesicht bekam. Die Leiche war nicht leer. Ich konnte einen Blick in das Innere werfen und sah, dass gewisse Teile - Innereien dort herumlagen, die sicherlich von dem Arzt, der hier seine Schau abzog, noch herausgeholt wurden.
Sogar eine perfekt nachgemachte Ratte fiel mir auf. Die würde sicherlich auch viel Spaß bringen.
Nun ja, jedem Tierchen sein Pläsierchen. Von einem Schattenhenker sah ich jedenfalls nichts. Ohne Schauspieler und ängstliche Zuschauer wirkte der Raum auch nicht so schlimm.
Die Schreie waren verweht. Es gab auch keine Musik mehr, und mir fiel erst jetzt die Stille auf.
Sollte ich weitergehen?
Ich hatte plötzlich meine Zweifel. Mein Gefühl sagte mir, dass etwas nicht in Ordnung war. Zugleich meldete sich auch das kalte Prickeln im Nacken, und ich dachte daran, dass es möglicherweise ein Fehler gewesen war, mich von Knudsen zu trennen.
Ich drehte mich langsam auf der Stelle. Schrifttafeln wiesen darauf hin, dass ich nicht nur im Studierzimmer eines Mediziners gelandet war, sondern auch in der Zeit der Pest. Der aufgeschlitzte Tote konnte gut eine Pestleiche darstellen.
Keine Musik, kein Schreien…
Eine irgendwie gefährliche Stille umgab mich. In ihr war auch ein entfernt aufklingender Laut gut zu hören.
Und den nahm ich plötzlich wahr.
Ein Schrei!
Diesmal echt!
Es lag auf der Hand, dass ich sofort an meinen Kollegen Uwe Knudsen dachte.
Mich hielt nichts mehr in der Pesthöhle…
***
Uwe Knudsen war nicht glücklich darüber, sich von seinem englischen Kollegen getrennt zu haben.
Auf der anderen Seite sah er ein, dass dieser Märtens unter Kontrolle gehalten werden musste, falls er das Dungeon betreten hatte.
Ob direkt oder indirekt, Knudsen war davon überzeugt, dass er etwas mit den Morden zu tun hatte.
Er wusste gut Bescheid. Er
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