1188 - Wartesaal zum Jenseits
Tochter hat dich gehört. Sie war deine Botin…«
»Es gibt mich noch.«
»Ja, ja…«
»Aber es gibt mich anders. Ich habe die Brücke erlebt. Ich war im Reich derjenigen, die wir so verehrt haben. Im Himmel der Heiligen, im Firmament der Geister. Ich sah die Engel, und mich überkam eine große Sehnsucht, ebenfalls zu ihnen gehören zu wollen. Als Mensch habe ich nie gewusst, was gerecht und ungerecht war. Jetzt weiß ich es. Ich kann sehr gut unterscheiden, und ich weiß, dass ihr auf dem richtigen Weg seid. Aber gerecht und gerecht ist zweierlei. Ich habe eine neue Gerechtigkeit erlebt und weiß nun, dass alle, die nicht für mich sind, als Feinde angesehen werden müssen. Niemand soll den Himmel stören. Niemand soll sich einmischen. Wir haben unseren Kreis gebildet, und dabei soll es bleiben. Ich möchte euch fragen, ob ihr bereit seid, diesen neuen Weg mit mir zu gehen?«
»Ja, ja, ja!« schrieen sie.
»Das ist gut. Ich habe nichts anderes von euch erwartet. Wir alle werden uns im Wartesaal treffen und von dort den Weg in die endgültige Glückseligkeit antreten.«
»Wann?«, rief der komische Heilige, der Ben Clemens hieß. »Wann ist es so weit?«
»Wann immer ihr wollt.«
»Auch heute…?«
»Ja.«
»H… heute Nacht?«
»Ich warte.«
Suko und mir konnten die Antworten nicht gefallen. Wir schauten uns an, nickten und dachten sicherlich das Gleiche. Was wir da gehört hatten, deutete auf eine Selbsttötung hin. Menschen, die sich das Leben nahmen, um die Erlösung zu finden.
Das war nicht neu. Gerade in den letzten Jahren war vieles durch die Presse gegangen. In der Schweiz und in Kanada waren ganze Lager mit Toten entdeckt worden. Da hatten sich die Menschen oft auf schreckliche Art und Weise umgebracht, damit sie die angebliche Glückseligkeit und den immerwährenden Frieden erreichten. Herausgekommen war letztendlich eine grauenvolle Katastrophe.
Ben Clemens drehte sich um. Er und seine Freunde missbrauchten dieses Gotteshaus. Das regte mich ebenfalls auf. Ich jedenfalls wusste, dass ich es nicht bis zum Äußersten kommen lassen würde.
»Habt ihr es gehört, Freunde?«
»Ja…«
Zahlreiche Stimmen hatten wie eine geklungen. Die Menschen standen voll und ganz auf Bens Seite.
»Dann wollen wir unsere Freundin Marga nicht enttäuschen. Wir werden noch in dieser Nacht den Weg zu den Heiligen gehen und den Wartesaal zum Jenseits erleben. Ihr habt euch darauf vorbereiten können. Jetzt setzt es in die Tat um.«
Diese Worte waren verdammt gefährlich. Sie wiesen auf einen allgemeinen Selbstmord hin. Ich glaubte nicht, dass es auch nur einen gab, der sich dagegen stemmte.
Suko nickte mir zu. »Ich denke, dass wir nicht zu lange warten sollten. Noch stehen sie alle unter dem ersten Eindruck und…«
»Schon klar.«
Zwar wusste ich nicht, wie ich diese Gestalt stoppen sollte, aber ich hoffte, dass sie vor meinem Kreuz Respekt zeigen würde, obwohl ich sie nicht als echte Schwarzblütlerin ansah.
Es blieb beim Vorsatz.
Keiner, außer uns, hörte, dass sich die Kirchentür bewegte. Uns war das Geräusch bekannt, und als wir uns umdrehten, da konnten wir bereits nichts mehr tun.
Zwei Frauen hatten die Kirche betreten.
Ich erkannte Glenda. Sie war als Zweite gegangen und machte keinen glücklichen Eindruck.
Vor ihr lief eine dunkelhaarige Frau auf den Altar mit seiner Erscheinung zu.
Das musste Tessa Tomlin sein. Sie war außer sich. Sie atmete schwer, sie bewegte schaukelnd ihre Arme. Ihr Gesicht huschte wie ein feuchter Schatten durch die Kirche.
»Ich bin da, Mutter! Ja, ich, deine Tochter!«
***
Eine Bombe hätte nicht härter einschlagen können, als das Geständnis dieser Frau. Auch Suko und ich schraken zusammen, denn mit diesem wilden Auftritt hatten wir nicht gerechnet.
Für wenige Augenblicke schien die Zeit angehalten worden zu sein. Alle waren in ihrer Überraschung erstarrt. Der Prediger hatte sich umgedreht. Er schaute jetzt seine »Gemeinde« an, sah aber auch Tessa Tomlin ins Gesicht, die sich durch nichts und niemanden von ihrem Weg aufhalten ließ.
Im Gegensatz zu Glenda, die einige Meter vor der Tür stehen geblieben war. Da sie auch woanders hinschaute, sah sie Sukos Winken. Wenig später war Glenda bei uns und schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid, aber ich habe sie nicht aufhalten können. Plötzlich drehte sie durch. Schon vor der Kirche wusste sie, wen sie hier treffen würde. Sie muss Kontakt mit der Mutter gehabt haben.«
»Sie ist dort vorn«, sagte
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