1188 - Wartesaal zum Jenseits
denn sein?«, flüsterte Suko.
»Auch wenn es komisch klingt. Für mich sieht der Typ aus wie ein Priester.«
»Ja, kann sein. Einer muss ja die Messe halten.«
»Irrtum, Suko, das wird keine normale Messe werden. Das ist der Kontakt mit dem Jenseits. Das ist genau das, was sich die Menschen gewünscht haben.«
Mein Freund nahm es hin. Und wir beide nahmen es hin, dass dieser dunkel gekleidete Mensch an uns vorbeiging und ebenfalls innerhalb des dünnen Nebels verschwand.
»Sehr gut«, sagte ich.
»Warum?«
»Es wird keiner mehr kommen.«
Die Antwort war für uns das Zeichen, die Deckung des Baumstamms zu verlassen. Auch wenn die Umgebung menschenleer war, gaben wir uns damit nicht zufrieden. Wir waren auf der Hut und rechneten auch mit dem Erscheinen der Lichtgestalt, was allerdings nicht mehr zutraf, denn es blieb grau um uns herum.
Die Stille blieb nicht. Kaum hatten wir den ersten Anblick der Kirche genossen, da hörten wir auch die Flüsterstimmen und sahen die Leute, die sich vor dem Eingang versammelt hatten. Sie sprachen leise miteinander. Es waren etwas mehr als zehn, und der letzte Ankömmling stand genau zwischen ihnen.
Er bildete den Mittelpunkt. Dabei bat er um Ruhe, die auch eintrat. Für die Umgebung hatten alle keinen Blick. Jeder konzentrierte sich auf den Sprecher, der glücklicherweise so laut sprach, dass wir ihn verstehen konnten.
Uns sah er nicht. Wir hatten hinter einer denkmalähnlichen Figur Schutz gefunden.
»Sie ist zurückgekehrt aus dem ›Wartesaal zum Jenseits‹«, erklärte der Mann mit dem Gehabe eines Predigers. »Ich habe ihre Botschaft gehört. Ihr ebenfalls. Es war ein Wunder. Es ist so weit. Sie wird uns jetzt Bescheid geben können. Wir werden vieles über die Heiligen und ihre Welt erfahren. Jetzt gleich. Unsere Schwester Marga Tomlin wird uns beweisen, dass der Tod nicht das Ende ist, sondern ein neuer, ein wunderschöner Beginn.« Er legte eine kurze Pause ein und schaute zum dunstigen Himmel. »Aber wo Licht ist, da gibt es auch Schatten, meine Freunde. Ich habe erfahren, dass uns nicht alle Menschen wohlgesonnen sind. Es gibt immer welche, die unsere Arbeit stören wollen, und deshalb müssen wir auf der Hut sein.«
»Wer?«
»Tessa.«
»Ha! Die Tochter?«
»Ja.«
»Aber sie hätte zu uns gehören können«, sagte ein Mann mit heller Stimme.
»Ich weiß es, Jorge. Leider hat sie sich anders entschieden. Sie hat die Zeichen der Zeit leider nicht erkannt. Es tut mir Leid für sie. Tessa hätte viel Schönes erleben können. Stattdessen hat sie uns verraten und sich eine Freundin hergeholt. Wir werden sehr auf der Hut sein müssen.«
Die letzten Worte hatten Unruhe in die Gruppe der Menschen hineingebracht. Sie blieben nicht mehr so abwartend und ruhig. Jeder schaute sich um, weil er etwas entdecken wollte, aber uns sahen sie nicht.
Der Prediger ließ sie in Ruhe. Nach ungefähr zehn Sekunden machte er ihnen wieder Mut. »Wir sind so stark, meine Freunde. Wer als lebender Mensch die Chance hat, etwas über das Jenseits zu erfahren und jemand zu sehen, der es verlassen, braucht sich nicht zu fürchten. Wir schaffen es.«
Seine Worte hatten den Zuhörern gut getan. Wie eine Herde Schafe umringten sie ihn, und er musste sich schon seinen Weg bahnen, um die Kirchentür zu erreichen.
Er zerrte sie auf und betrat das Gotteshaus als Erster.
Nach und nach verschwanden die Frauen und Männer in der nicht sehr großen Kirche. Im Innern brannte kein Licht. Die Helligkeit musste sich ihren Weg durch die Fenster suchen, mit denen die Kirche beidseitig bestückt war.
Erst als die Tür wieder zugefallen war, verließen wir unseren Platz. Natürlich konnten wir nicht sicher sein, dass wir nicht doch beobachtet wurden, aber dieses Risiko gingen wir ein.
Die wenigen Meter legten wir schnell zurück. Die Luft war feucht. Bei jedem Atemzug schien sie getrunken zu werden. Ich fühlte sie klebrig auf meiner Haut und war froh, dass sich die Tür nicht mehr öffnete.
Wir kümmerten uns nicht um sie und gingen dorthin, wo sich die Fenster befanden. An den Seiten waren die viereckigen Öffnungen gelassen worden. Es hatte aus der Distanz gesehen doch getäuscht. Sie lagen so hoch, dass wir nicht hineinschauen konnten. Es war auch nichts zu hören, denn die dicken Mauern schluckten die Stimmen.
Suko wusste, dass ich nicht begeistert darüber war, dass es nur den einen Eingang gab. Das heißt, wir hatten bisher keinen zweiten entdeckt. Danach aber suchten wir, und deshalb
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