1188 - Wartesaal zum Jenseits
ich.
»Ja, ich habe sie gesehen.« Glenda schauderte es. Sie schaute kurz hin und flüsterte: »Doch ein Geist?«
Ich zuckte die Achseln. »Wir wissen es beide nicht. Zumindest eine Seele, die zu etwas anderem geworden ist. Sie hat es geschafft, die anderen auf einen kollektiven Selbstmord vorzubereiten. Noch in der Nacht wollen sie sich umbringen.«
»Warum greifen wir nicht ein?«
»Werden wir.« Ich nickte Suko zu.
»Bleib du als Rückendeckung zurück. Ich schaue mich mal vorn um.«
»Okay.«
Es hatte sich nicht viel verändert. Es war nur eine Person hinzugekommen, und die stand dem Prediger genau gegenüber. Die anderen Zuschauer hatten sich von ihren Bänken erhoben. Es gab keinen unter ihnen, der ein Wort sagte, doch die Haltung der Tochter gegenüber war als feindlich einzustufen.
»Nicht weiter!«, rief Ben Clemens und breitete seine Arme aus, um Tessa den Weg zu versperren.
»Keinen Schritt mehr, auch wenn du Margas Tochter bist.«
»Ich will zu ihr!«
»Nein, du gehörst nicht zu uns!«
»Ich lasse mich nicht noch einmal von dir daran hindern. Ich lasse mich nicht mehr würgen. Du wolltest mich töten, Ben Clemens, hast du das vergessen? Noch jetzt spüre ich deine Hände, die du um meinen Hals gelegt hast. Es war schlimm, und ich hatte schon fast mit dem Leben abgeschlossen.« Sie lachte scharf auf, sodass jeder Kirchenwinkel davon erfüllt wurde. »Und einer wie du kümmert sich um meine Mutter. Du willst die Tochter töten und betest die Mutter an. Na, wie finde ich das denn, verdammt?«
Die Anklage hatte den Mann nicht durcheinanderbringen können. »So sehe ich das nicht, Tessa. Du hast dich wenig um deine Mutter gekümmert. Wir sind es gewesen, die sie begleitet haben und um sie herum waren. Wir und nicht du. Geht das nicht in deinen verdammten Kopf hinein? Bist du denn so verbohrt?«
»Nein, das bin ich nicht. Ich habe sehr wohl an meine Mutter gedacht. Aber auch sie hat sich von mir entfremdet. Sie ging den falschen Weg, als sie an euch geriet. Ihr seid eine verbohrte, fanatische Sekte. Ihr habt alles übertrieben. Ihr habt euch um Dinge gekümmert, von denen ihr lieber die Finger gelassen hättet. Das alles ist mir mittlerweile bekannt. Doch eines weiß ich nicht. Und das möchte ich gern erfahren.«
»Bitte, eine Frage!«
»Danke für die Erlaubnis, Herr Pfarrer.« Tessa lachte wieder wütend. »Wie ist meine Mutter gestorben?«
»Das Herz…«
Tessa hob die Hand. Es sah aus, als wollte sie den Mann schlagen. »Nein, das glaube ich nicht. Es stimmt nicht wirklich. Daran muss gedreht worden sein. Ich weiß, dass es zu viele Ermordete gibt, die auf den Friedhöfen liegen. Da hat sich niemand die Mühe gemacht, nachzuforschen, wie sie tatsächlich ums Leben gekommen sind. Und das wird auch bei meiner Mutter der Fall gewesen sein. War es das Herz?«
»Es steht im Totenschein!«
Tessa schlug zu. Sie traf das Gesicht des Mannes, aus dessen Nase plötzlich Blut schoss. Er fiel nach hinten und drehte sich dabei.
»War es das Herz?«, brüllte Tessa.
»Nein, es war nicht das Herz!«
Totenstille folgte der Antwort, denn diesmal hatte Marga Tomlin gesprochen…
***
Auch die Personen in den Bänken hielten sich zurück. Sie hatten sich nach dem Schlag auf Tessa stürzen wollen, doch jetzt war alles anders geworden. Ihre Blicke galten der über dem Altar schwebenden Erscheinung, und selbst Ben Clemens hielt sich zurück. Er konnte sich einfach nur auf die Erscheinung konzentrieren, während aus seinen Nasenlöchern Blut sickerte.
Tessa fing sich wieder. »Mutter…« Mehr konnte sie nicht sagen. Zu tief steckte die Überraschung.
»Ja, Tessa, du hast mich schon einmal gehört. Du weißt doch, dass ich meinen Frieden gefunden habe.«
»Nein, Mutter, nein. So kann dein Frieden nicht aussehen. Die Toten sollen nicht zurückkehren. Es ist gegen die Gesetze. Man soll die Erinnerung behalten. Bitte, ich… ich… habe dich mal geliebt. Ich liebe dich auch jetzt noch. Aber geh zurück. Geh wieder in deine Welt. In dein Reich. Du hast auf dieser Welt nichts zu suchen…«
»Ich bin als Heilige gekommen.«
»Nein, nein, nein, das stimmt nicht. Du hast im Leben nie so gehandelt, wie es die Heiligen taten. Da brauchst du nur ihre Geschichten zu lesen. Und dein Tod…«
»Ist bewusst herbeigeführt worden!«
Die klare Antwort ließ Tessa verstummen. Sie hatte einen Verdacht gehabt. Diesen nun aus dem Mund der Toten bestätigt zu bekommen, das konnte sie kaum verkraften.
Mir fiel auf,
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