1188 - Wartesaal zum Jenseits
uns zu verstehen gegeben, dass es dich gibt. Du bist in der Lage, die Wunder zu vollbringen. Deshalb lasse uns nicht im Stich. Beschütze uns. Bereite uns vor, damit wir dem Tod fröhlich ins Augen blicken können. Berichte uns von deinen Erfahrungen aus dem Jenseits.«
»Na«, sagte Suko leise. »Ob der sich nicht zu viel vorgenommen hat?«
»Denk an Boris Long.«
»Stimmt auch wieder. Aber warum kommt sie nicht?«
»Das kann an uns liegen.«
»Wieso?«
»Sie spürt, dass wir fremd sind. Wir gehören nicht dazu. Wir haben uns dem Kreis nicht angeschlossen.«
»Willst du gehen?«
»Auf keinen Fall.«
Ich konzentrierte mich wieder auf den Prediger, der noch immer seine Arme in die Höhe gestreckt hatte. Er wollte den Sieg. Er wollte endlich den Beweis haben - und er bekam ihn.
Urplötzlich war das Licht da!
Selbst Suko und ich zuckten zusammen, obwohl wir darauf vorbereitet gewesen waren.
Wir hatten es schon einmal gesehen. Da hatte das Licht wie eine Kugel über dem Totengräber geschwebt, bevor dieser dann vernichtet worden war.
Auch jetzt erinnerte es an eine Kugel, die unter der Decke schwebte, Sekunden später jedoch ihr Aussehen veränderte und sich in einen Stern verwandelte.
Es sah wirklich imponierend aus, und keiner der Besucher sagte auch nur ein einziges Wort. Alle der Prediger inbegriffen - waren von dieser Erscheinung fasziniert.
Langsam sank das Licht tiefer.
Der Prediger ging in die Knie. Wir hörten sein Schluchzen, aber es klang erleichtert. Den Kopf hielt er noch immer angehoben, und so konnte er beobachten, wie sich die Form des Lichts abermals veränderte.
Der Stern strahlte nicht mehr in verschiedene Richtungen weg. Er ballte sich wieder zu einem Kreis zusammen, der er allerdings auch nicht blieb, denn wie von unsichtbaren Fäden wurde er in die Länge gezogen.
Auf dem Weg nach unten entstand so eine neue Gestalt. Ohne Körper, jedoch wie ein Körper anzusehen, denn man konnte sie als eine Lichtgestalt bezeichnen.
Hell und strahlend. Durchscheinend und doch existent. Fast wie zum Greifen. Ein Geist. Ein Engel.
Die Seele eines Menschen, die den Körper nachmodelliert hatte? Oder vielleicht etwas, das allein aus der Kraft der menschlichen Gedanken und Wunschträume geschaffen worden war?
Eine klare Antwort konnte ich auch nicht geben. Vielleicht kam dabei alles zusammen.
Auch ich bewegte mich nicht vom Fleck, als sich die Erscheinung immer weiter senkte. Sie schwebte nicht direkt senkrecht nach unten, sondern hatte den Körper leicht nach vorn gekippt und die Arme etwas gestreckt, als wollte sie den Versammelten ihren Segen erteilen.
»Marga!« rief der Prediger voller Inbrunst. »Du hast uns erhört. Du bist da…«
Seine Stimme versagte. Die Erscheinung war so weit nach unten gesunken, dass ihr Licht den Mann traf und ihn für einen Moment mit einem überirdischen Glanz bedeckte.
Ich wusste nicht so recht, wie ich diese Szene beschreiben oder erfassen sollte. War es Kitsch? Oder war das Jenseits mit seinen Stufen tatsächlich so aufgebaut, dass es gewisse Menschen als Geister entlassen konnte?
Marga hätte mir sicherlich Auskunft geben können, aber die nahm keinen Kontakt auf. Zunächst mal hatte sie ihr Ziel erreicht und blieb schwebend auf der Altarplatte stehen. Da dieses Gebilde höher stand, war sie auch gut zu sehen. Selbst von Suko und mir, obwohl wir uns im Hintergrund aufhielten.
Es gab einen Körper. Es gab ein Gesicht. Aber es gab keinen Feststoff. Alles wirkte wie fein gezeichnet und schimmerte manchmal wie glitzernde Lamettafäden.
»Kannst du zu uns sprechen?«, fragte der Prediger laut.
»Ja, Ben Clemens, ich kann!«
Clemens schrie so hell auf, dass es sich fast wie von einer Frau anhörte. Obwohl er darauf vorbereitet sein musste, hatte ihn die Überraschung getroffen.
»Du kennst mich noch…«
»Wir waren lange genug beisammen. Wir und die anderen hier in der Kirche.«
Es war eine menschliche Stimme, obwohl sie sich nicht unbedingt menschlich anhörte. Dazu klang sie einfach zu abgehackt und war auch mit leicht schrillen Untertönen versehen. Ich sah sie mehr als künstlich an, aber das ließ ich mal dahingestellt.
»Hast du es gesehen?« fragte Clemens nach einer Weile, und es war ihm anzuhören, wie schwer ihm die folgenden Worte fielen. »Hast du ins Jenseits hineingesehen? Kannst du uns berichten? Bist du im Wartesaal gewesen? Bist du mit den anderen Toten zusammengekommen? Wenn ja, dann gib uns durch deinen Bericht Hoffnung. Auch deine
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