11.9. - zehn Jahre danach: Der Einsturz eines Lügengebäudes (German Edition)
schlechterdings nicht gestatten, unter keinen Umständen. Erst recht nicht, da er seinen Wunsch niemandem mitteilte. Denn nachdem Andrew Card ihm ins Ohr geflüstert hatte, Amerika werde angegriffen, sprach Bush mit niemandem. Sondern saß einfach nur unschlüssig da, strahlte Ruhe aus, hörte den Kindern zu und verließ sich auf seine Sicherheitsleute.
Die offensichtlich sicher waren, dass ihm keine Gefahr drohte.
Die Untersuchungskommission befragte zu diesem Sachverhalt genau einen Mitarbeiter des Secret Service. Dessen Erklärung ist im Report wiedergegeben. Man habe es »nicht für zwingend notwendig gehalten, dass er [der Präsident] zur Tür rausrennt«. 5
Diese Erklärung genügte der Untersuchungskommission. Man verkniff sich sogar die Nachfrage, ob es nicht zwischen »zur Tür rausrennen« und »Nichtstun« andere Handlungsweisen gegeben hätte, zum Beispiel die naheliegende Option »Präsident unaufgeregt, aber umgehend an einen sicheren Ort bringen«.
Noch einmal: Nach Lage der Dinge hatten die präsidialen Personenschützer gar keine andere Wahl, als ihren Präsidenten sofort in Sicherheit zu bringen. Warum taten sie es nicht? Wer gab ihnen die Anweisung, nicht tätig zu werden? Und wann? Vor Ort? Brian Stafford, Director des Secret Service, war unmittelbar nach dem zweiten Anschlag von der FAA-Chefin Jane Garvey alarmiert worden, bis zu elf Maschinen müssten als »möglicherweise entführt« gelten (→ Kap. 23 ). Warum wartete er? Musste er nicht damit rechnen, dass auch sein Präsident zu den Zielen gehören könnte, an einem jedermann und jedem Terroristen bekannten Ort, auf dem Präsentierteller in einer Grundschule direkt neben einem Flughafen, auf der eine Passagiermaschine nach der anderen startete?
Der Präsident blieb sitzen. Der Secret Service wartete. Worauf?
Vorzuladen:
Die Secret-Service-Agenten, die an diesem Morgen darauf verzichteten, ihren Präsidenten aus seiner potentiell lebensgefährlichen Situation zu retten. Es ist dringend zu ermitteln, wer ihnen die Anweisung gab, nicht zu handeln – und wann.
Secret-Service-Chef Brian Stafford
Richard Cheney
George W. Bush
19 Dienst nach Vorschrift
Dass es fast zwei Stunden dauerte, ehe Kampfjets endlich (erfolglos) versuchten, wenigstens die letzte der entführten Maschinen noch abzufangen, ist weder Militär noch zivilen Lotsen anzulasten. Die am 11. September 2001 geltenden Dienstvorschriften wurden befolgt.
Entgegen der Behauptungen mancher Skeptiker wurden die Standard Operating Procedures, also die Dienstvorschriften für den Umgang mit entführten Passagiermaschinen, am 11. September 2001 tatsächlich befolgt. Weil diese Vorschriften nämlich acht Wochen vor dem 11. September überraschenderweise geändert worden waren. Besser: auf den Kopf gestellt.
Denn nicht nur wurde der Genehmigungsweg für den Fall eines Falles erheblich länger, es lagen von Juli 2001 an auch alle Entscheidungsbefugnisse nicht mehr wie vorher in den Händen der jeweils Dienst habenden Offiziere, sondern in den Händen eines Einzelnen, nämlich des Verteidigungsministers Donald Rumsfeld. Dessen persönliche Zustimmung war von Juli 2001 an ausdrücklich erforderlich, wollte irgendwer überhaupt Abfangjäger in Richtung entführter Flugzeuge aufsteigen lassen. 1
Das war neu. Eine noch nie da gewesene Vorschrift.
Um 8:22 Uhr schaltete American 11 den Transponder ab, nachdem die Piloten sich schon seit 8:14 Uhr nicht mehr per Funk gemeldet hatten. Als die Maschine um 8:26 Uhr dann auch noch den Kurs wechselte, war dies ein endgültiges Alarmsignal für die Fluglotsen, die spätestens jetzt – den Dienstvorschriften für Notfälle folgend – sofortige militärische Hilfe hätten anfordern müssen. Aber von einem technischen Notfall konnte unmittelbar darauf schon keine Rede mehr sein, und das veränderte die Sachlage vollständig. Denn zwei Minuten später stand den Lotsen kein einfacher Dienstweg mehr offen, da ein Unbekannter über sämtliche Frequenzen funkte: »We have some planes.« 2
Von diesem Augenblick an mussten die Lotsen von einer Entführung ausgehen. Und sie mussten sich ab demselben Augenblick an den neuen, deutlich längeren Dienstweg halten – bis hinauf zu Rumsfeld höchstselbst. Dieser längere Dienstweg führte von den zuständigen Lotsen zunächst einmal über das regionale FAA-Hauptquartier in New England, das den Highjack Coordinator benachrichtigte, der dann wiederum die Meldung an den zuständigen Pentagon- respektive
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