1197 - Unhold in der Nacht
Dennoch kam es Ezra vor, als wäre genau dieser Kopf dabei, die gesamte Umgebung zu beobachten.
Es gab nicht nur die Augen, sondern auch das Maul, das halb offen stand, sodass jeder das helle Gebiss mit den kräftigen Zähnen sehen konnte, die schimmerten, als wären sie lackiert worden.
Besucher zuckten jedes Mal zusammen, wenn sie den Kopf sahen. Dann fröstelten sie und rechneten damit, dass sich der Schädel jeden Moment von der Wand löste und auf sie zuhechtete.
Ezra Hayden übte seinen Beruf schon seit 30 Jahren aus. Die Zeit war auch an ihm nicht spurlos vorbeigegangen und hatte ihn grau werden lassen. Die Hälfte der Haare war ihm ausgefallen. Die meisten wuchsen nur noch um seinen Hinterkopf herum, das allerdings in einem wilden Wirbel.
Auch seine Gesichtshaut sah grau aus. Er war ein Mann, der die meiste Zeit seines Lebens im Haus verbrachte. Auch im Sommer. Erst gegen Abend ging er vor die Tür. Die Augen waren mal blau gewesen, mittlerweile hatten sie sich der grauen Gesichtshaut angepasst.
Hayden schlürfte den Kaffee. In seiner Umgebung war es still, auch hinter dem Vorhang, in dem sich seine eigentliche Arbeitsstätte und Werkstatt befand, in der die zahlreichen Tiere standen, die er seinen Besuchern zeigte. Das fing beim Hasen an, ging über Fuchs, Marder, Reh und Hirsch bis hin zum Wolf. In der Natur wären die Tiere übereinander hergefallen, hier aber standen sie alle friedlich zusammen. Keines tat dem anderen etwas.
Hayden hatte zum Kaffee eine trockene Scheibe Brot gegessen. Mehr brauchte er nicht zum Frühstück. Er überlegte noch, ob er einen Schluck Gin trinken sollte, denn gebrauchen konnte er den Alkohol. Nicht dass er davon abhängig war, das konnte er sich bei seinem Beruf, in dem es auf Fingerfertigkeit ankam, gar nicht erlauben, aber er dachte an das, was ihm bevorstand, und da hätte ein kräftiger Schluck Gin nicht geschadet.
Nein, nicht heute!
Er wollte hart bleiben. Er musste es tun, denn er wusste, dass die Dinge noch nicht vorbei waren.
Längst nicht. Sie würden sich wiederholen. Nacht für Nacht. Und er konnte nichts dagegen tun. Er war in diesem verdammten Kreislauf gefangen, der ihn einerseits faszinierte, ihn jedoch andererseits auch abstieß, weil das gar nicht sein Fall war und auch nicht zu seinem Leben gehörte.
Er war da einfach hineingefallen. Vielleicht war er auch zu blind gewesen und hätte besser aufpassen sollen. Ezra wusste es nicht. Jedenfalls musste er jetzt die Suppe auslöffeln, und das war überhaupt nicht gut für ihn.
Der Vorteil, allein zu sein, lag auf seiner Seite. Nie im Leben war Hayden eine Partnerschaft eingegangen. Wenn ihm nach einer Frau gewesen war, hatte er dafür bezahlt und war mit dieser Lösung auch immer zufrieden gewesen. Und er hatte gut daran getan, wie er immer stärker feststellen musste.
Kunden und Käufer würden an diesem Tag nicht erscheinen, das wusste er. Man konnte ihn nicht einfach besuchen. Hayden empfing die Leute nur nach vorheriger Anmeldung. Da, war in den nächsten beiden Tagen nichts angesagt.
Sehr gut…
Ezra Hayden erhob sich von seinem klobigen Stuhl, reckte sich und warf dem Wolfskopf einen letzten Blick zu. Jetzt hatte er das Gefühl, von dem Tier angegrinst zu werden, und selbst in den starren Augen schien ein Versprechen zu liegen. Der Tierkopf warnte ihn. Er glotzte ihn an, und zugleich schimmerte in seinen Augen eine gewisse Schadenfreude.
»Du schaffst mich nicht!«, flüsterte er ihm zu. »Du nicht, verdammt noch mal.«
Der Kopf blieb still. Kein Wort, kein Reden. Wie auch? Nichts war zu hören. In der Wohnung hatte sich die Stille ausgebreitet, die sich jenseits des Vorhangs festsetzte.
Auf ihn ging der Präparator zu. Er passierte seine Schlafstelle, den Gaskocher, den kleinen Schrank, das Regal, auf dem Tassen und Teller bunt durcheinander standen, die Glotze und das Radio. Es war eine nicht eben großartige Behausung, aber sie war billig, auch wenn die Toilette sich auf dem zugigen Flur befand und in seiner Wohnung nur ein altes Waschbecken neben der Tür hing.
Es genügte ihm.
Er schlug den Vorhang zurück.
Vor ihm lag die Werkstatt wie auf dem berühmten Präsentierteller. Den Geruch nach Blut bildete er sich wohl nur ein, denn andere Gerüche wehten gegen seine Nase. Es roch nach Bett, nach Ölen. An der Wand stand ein großer Trockner, auf dem Arbeitstisch lagen die Fellreste von einem Reh, das er als letztes ausgestopft hatte. Der Kunde hatte bezahlt, es mitgenommen und war sehr
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