1197 - Unhold in der Nacht
bis man mich erwischt hat, dachte Kelly.
Jetzt schoss Furcht in ihr hoch. Sie zitterte. Sie atmete heftiger, und als sie aus dem Fenster schaute, da lag die triste Umgebung dicht vor ihr.
Ein trauriges London, in dem sie lebte. Und das an einem ebenfalls traurigen Ort. Nicht etwa in Notting Hill, wohin sie nach ihrem Dafürhalten eigentlich gehört hätte.
Das waren Träumereien.. Nicht zu realisieren. Zunächst nicht. Sie stand am Anfang, sie war noch jung, und sie wollte auf keinen Fall sterben. Der Tod ihres damaligen Kollegen hatte ihr gereicht.
Aber die Bestie war unterwegs. Sie hatte sich auf ein Opfer eingeschossen. Das wusste Kelly genau.
Sie war ihr entkommen, und sie sah sich selbst als Zeugin an. Eine Zeugin, die hätte Angst haben müssen. Irgendwie bekam sie das auch in die Reihe. Sie hatte eine gewisse Angst. Zugleich allerdings peinigte sie die Neugierde. Kelly war niemand, der sich verkroch. Da hätte sie sich gleich einen anderen Job suchen können. Und es war niemand gestorben, den sie gut gekannt hatte. Es gab hier also andere Voraussetzungen als damals in Atlantis.
Wunderbar, dachte sie. Also muss es weitergehen. Die Bestie hat jetzt einen Feind. Das ist John Sinclair. Er hat sie gesehen, er wird sie jagen, und unter seinem Schutz kann ich mich eigentlich besser fühlen. Es arbeitete schon wieder in ihrem Kopf. Jetzt sah sie alles mit ganz anderen Augen.
Weg mit der Angst. Sie wollte damit nichts mehr am Hut haben. Man musste den Tatsachen ins Auge sehen.
»Und ich brauche wieder eine Geschichte«, murmelte Kelly vor sich hin, als sie schon dabei war, eine Nummer zu tippen. Sie wollte John Sinclair sprechen.
Eine Frauenstimme drang aus dem Lautsprecher des Handys. Die Frau meldete sich mit Glenda Perkins. Mit diesem Namen konnte Kelly nichts anfangen. Vielleicht war sie Sinclairs Mitarbeiterin.
»Guten Morgen, mein Name ist Kelly O'Brien. Ich hätte gern John Sinclair gesprochen, wenn möglich.«
»Oh, das tut mir leid.«
»Ist er nicht, da?«
»Nein.«
»Wo kann ich ihn denn erreichen?«
»Er ist unterwegs, Miss O'Brien.«
»Es ist aber wichtig.«
»Das sagen alle, Miss O'Brien.«
Kelly hatte den Eindruck, dass die andere Person sie nicht mochte. Seltsam, dabei hatte sie ihr nichts getan. Diese Perkins war zwar höflich, aber sie war auch glatt und ließ sie einfach abprallen.
Sie blieb trotzdem hart. »Ich rufe nicht zum Spaß an, Mrs. Perkins, das müssen Sie mir glauben. Es geht um die letzte Nacht und damit um eine Bestie…«
»Das ist mir bekannt. Zumindest in Fragmenten«, unterbrach Glenda sie. »John wird auch an diesem Fall dranbleiben. Das heißt, er ist bereits auf dem Weg.«
»Gut, wo…«
»Ich denke, in der Gegend, wo die Bestie gesehen wurde. Mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen.«
»Was ist mit der Handynummer?«
»Tut mir leid«, bedauerte Glenda, »die kann ich Ihnen beim besten Willen nicht geben.«
Kelly O'Brien war zwar enttäuscht, erklärte aber dann, dass sie es verstand.
Glenda war noch nicht fertig. Sie sagte: »Ich kenne Sie zwar nicht, Kelly, aber ich rate Ihnen in Ihrem eigenen Interesse, nichts zu unternehmen, was Sie in Gefahr bringen könnte.«
»Danke. Was meinen Sie damit?«
»Nur nicht versuchen, die Bestie auf eigene Faust zu jagen. Das könnte schlimm enden.«
»Wo denken Sie hin, Miss Perkins.«
»War nur ein Rat.«
Mit diesem Satz war das Gespräch beendet. Kelly O'Brien blieb an ihrem Schreibtisch sitzen und schaute für eine Weile ins Leere. Den Rat hatte sie verstanden, aber sie würde ihn nicht befolgen.
Nicht in diesem Fall.
Okay, sie hatte sich gefürchtet. Nicht nur in der Nacht, auch noch am Morgen. Die Erinnerungen an das erlebte Grauen verblassten auch nicht, aber gewisse Dinge musste sie einfach tun. Sie konnte nicht kneifen. Sie wäre sich feige vorgekommen, wie jemand, der ohne Grund davonläuft. Das hatte sie noch nie getan.
Sinclairs Logik war gut. Sie gelangte zu einem ähnlichen Schluss. Es hatte die beiden Toten in einem bestimmten Gebiet gegeben, und auch sie war dort überfallen worden.
Welchen Grund sollte es für den Mörder geben, die Gegend zu verlassen, in der es zahlreiche Verstecke gab? Eigentlich keinen. Es sei denn, er agierte nur in der Nacht, was durchaus sein konnte.
Aber darauf wollte Kelly nicht setzen.
Sie stand auf und zog ihre dicke Jacke an. Camcorder und Kamera nahm sie ebenfalls mit. Es steckte einfach zu viel Reporterblut in ihren Adern…
***
Auch Suko und ich vermuteten, dass
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