1198 - Varunas Hexenreich
Höhe schleuderten.
Wir konzentrierten uns beide auf die Böschungsseite, die uns gegenüberlag. Zuerst hatten wir den Eindruck, als würde ein gestreckter Schatten über den Boden wandern, und nur Augenblicke später zeichnete sich die Gestalt ab.
Es war Varuna!
Bis an den Rand der Böschung trat sie vor, senkte den Kopf und schaute kalt lächelnd auf uns herab…
***
Hoffnung? War es ein Ausweg? War sie gekommen, um uns zu retten? Oder wollte sie nur zusehen, wie wir versanken und einen schrecklichen Tod starben?
Ich wusste es nicht. Ich konnte nur hoffen, und mein Herzschlag hatte sich beschleunigt.
Sie stand da und sagte nichts. Sie trug dasselbe kittelähnliche Kleid mit dem Gürtel in der Mitte, und sie machte auch nicht den Eindruck eines frierenden Menschen. Das Licht war nicht mehr zu sehen.
Es wurde nicht mehr benötigt. Schließlich hatte es uns in die tödliche Falle geführt.
Ich versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen, um herauszufinden, was sie dachte und eventuell vorhatte.
Aber sie gab nichts von ihren Gefühlen bekannt. Beinahe neutral schaute sie in unsere Gesichter und nickte schließlich.
Für mich war das ein Zeichen, sie anzusprechen. »Bist du gekommen, um uns beim Sterben zuzuschauen?« fragte ich leise.
Varuna zuckte mit den Schultern. »Es ist hier die Grenze zu meinem Reich, John. Ich habe immer gesagt, dass die Natur stärker ist als der Mensch. Ihr habt es bestimmt nicht geglaubt, aber jetzt ist es eingetreten. Ihr könnt nicht mehr weg. Wie jämmerlich schwach ist der Mensch doch, wenn er versucht, sich die Welt untertan zu machen. Er mag das Höchste aller Geschöpfe sein, aber er hat es nicht geschafft, seinen Verstand in die richtigen Schienen zu lenken. Statt mit all den Dingen zu leben, will er sie zerstören. Er ist nicht bereit, hinzunehmen, dass es andere Mächte gibt, die stärker sind als er.«
»Das habe ich nie behauptet!«, erwiderte ich gepresst. »Ich habe die Natur akzeptiert, und das mit all ihren Fehlern und auch Vorteilen. So kannst du mir nicht kommen.«
Sie sagte nichts. Hatte ich die richtigen Worte getroffen oder fühlte sie sich von mir hintergangen?
Ich hatte ihr nichts anderes sagen können, und ich hatte sie auch nicht angelogen. Da brauchte ich nur an Mandragoro zu denken.
Was tat sie?
Allmählich wurde es Zeit, wenn sie gekommen war, um uns zu retten. Aber sie stand einfach nur dort oben am Rand, bewegte sich nicht und schaute in die Tiefe.
»Die starken Männer«, sagte sie leise. »Die immer so starken Kerle. Wie schwach ihr seid…«
»Es hat doch damit nichts zu tun!«, rief ich hoch. »Wir stecken hier im Sumpf fest, und ich glaube fest daran, dass du uns in eine Falle geführt hast.«
»Warum seid ihr mir gefolgt?«
»Wer hatte die Leiche gestohlen?«, fragte ich zurück. »Wir waren es Kelly O'Brian schuldig. Wir haben sie gekannt, denn wir sind zweimal ihre Lebensretter gewesen. Aber dann wurde sie getötet, und von dir wussten wir nichts, Varuna, du bist eine Überraschung in der Rechnung gewesen.«
»Das bin ich immer«, erklärte sie. »Ich lebe dafür, um Überraschungen zu bereiten. Das ist nun mal so und wird sich auch nicht ändern. Es ist mein Reich, das Kelly O'Brian auch kennen lernen wollte. Ich habe sie nur einmal gesehen, aber es reichte uns, um das Band der Sympathie zu schmieden.«
»Wir haben sie nicht umgebracht.«
»Ich weiß!«
»Wir haben auch ihre Leiche nicht gestohlen.«
»Ist mir bekannt.«
»Aber du müsstest wissen, wer es getan hat!«
Ich erhielt keine Antwort und befürchtete schon, etwas Falsches gesagt zu haben, sodass sie sich dann zurückzog und uns dem Schicksal überließ.
Varuna bewegte sich auch. Sie bückte sich und streckte dabei beide Arme nach vorn, um etwas vom Boden aufzuheben, das dort im Laub verborgen gelegen hatte.
Etwas wirbelte hoch. Ich warf Suko einen schnellen Blick zu und sah das Lächeln um seine Mundwinkel. Einen Moment später lächelte ich auch, denn vom Rand der Böschung her rutschte etwas über die Laubschicht, das aussah wie zwei Schlangen.
Zum Glück sah es nur so aus. In Wirklichkeit waren es Seile, die uns entgegenrutschten. Zum Glück waren sie so lang, dass wir nach den Enden fassen konnten.
Suko und ich umklammerten sie mit beiden Händen. Varuna nickte uns zu. »Wenn ihr wollt, könnt ihr euch aus eigener Kraft befreien.«
Und ob wir wollten. Ich dachte über Varunas Motive nicht nach. Ich machte mir vorläufig überhaupt keine Gedanken mehr, ich wollte
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