12 - Im Auge des Tigers
Sacramento.
Jede dieser Städte war groß genug, dass es dort wenigstens ein richtiges Einkaufszentrum gab. Zwei waren Provinz-hauptstädte. Allerdings handelte es sich bei allen vieren nicht um bedeutende Großstädte. Sie fielen in die Kategorie, die als die »Mitte Amerikas« bezeichnet wurde - Orte, wo die »anständigen« Leute wohnten, wo sich die »gewöhnlichen«, »schwer arbeitenden« Amerikaner ansiedelten, wo sie sich sicher fühlten, weit entfernt von den großen Zentren der Macht – und der Korruption. In diesen Städten gab es wenige bis gar keine Juden. Nun, vielleicht ein paar. Juden betrieben mit Vorliebe Juweliergeschäfte. Vielleicht gab es sogar ein solches in einer der Mails. Das wäre natürlich ein extra Sahnehäubchen, allerdings nur, wenn sich die Gelegenheit von selbst ergab. Ihr eigentliches Ziel bestand darin, gewöhnliche Amerikaner umzubringen, solche, die sich im Schoß ihres gewöhnlichen Amerikas sicher glaubten. Sie würden bald erfahren, dass Sicherheit auf dieser Welt eine Illusion war. Sie würden erfahren, dass Allahs Donnerkeil überall zuschlagen konnte.
»Das ist es also?«, fragte Tom Davis.
»Ja, das ist es«, bestätigte Dr. Pasternak. »Seien Sie vorsichtig. Es ist vollständig geladen. Der rote, sehen Sie – der blaue ist nicht geladen.«
»Was kommt da raus?«
»Succinylcholin – ein Muskelrelaxans. Eigentlich handelt es sich um eine synthetische und wirksamere Form von Curare. Es lahmt sämtliche Muskeln einschließlich des Zwerchfells. Man kann weder atmen noch sprechen oder sich bewegen. Dabei ist man bei vollem Bewusstsein. Ein qualvoller Tod«, fügte der Mediziner in kühlem, distanzier-tem Ton hinzu.
»Warum das?«, fragte Hendley.
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»Man kann eben nicht mehr atmen. Das führt schnell zu Sauerstoffmangel im Herzen – im Grunde ein künstlich herbeigeführter schwerer Herzinfarkt. Das ist alles andere als angenehm.«
»Und dann?«
»Nun, es dauert etwa sechzig Sekunden, bis die Symptome einsetzen. Nach weiteren dreißig Sekunden entfaltet das Mittel seine volle Wirkung. Das Opfer bricht also, sagen wir, neunzig Sekunden nach der Injektion zusammen. Etwa zum selben Zeitpunkt setzt die Atmung vollständig aus.
Das Herz bekommt keinen Sauerstoff mehr. Es versucht zu schlagen, aber es kann weder sich selbst noch den übrigen Körper mit Sauerstoff versorgen. Innerhalb von etwa zwei bis drei Minuten stirbt das Herzgewebe ab – ein extrem schmerzhafter Vorgang. Ungefähr nach drei Minuten kommt es zur Bewusstlosigkeit, es sei denn, das Opfer hat sich vorher angestrengt – in dem Fall ist das Gehirn stärker mit Sauerstoff gesättigt. Normalerweise befindet sich im Gehirn so viel Sauerstoff, dass es drei Minuten lang ohne weitere Sauerstoffzufuhr arbeiten kann. Nach Überschreiten dieser Drei-Minuten-Grenze – vom Auftreten der Symptome an gerechnet, das heißt, viereinhalb Minuten nach der Injektion – verliert das Opfer das Bewusstsein. Der vollständige Hirntod tritt circa nach weiteren drei Minuten ein.
Danach metabolisiert das Succinylcholin im Körper – noch nach dem Tod. Zwar nicht vollständig, aber zu einem so großen Teil, dass nur ein wirklich aufmerksamer und fähiger Pathologe es mithilfe einer toxikologischen Untersuchung feststellen kann, und auch das nur, wenn er gezielt danach sucht. Die einzige Schwierigkeit ist eigentlich, das Mittel ins Gesäß Ihrer Testperson zu injizieren.«
»Warum ins Gesäß?«
»Die intramuskuläre Injektion hat viele Vorteile. Wenn Tote in die Pathologie geschickt werden, dann immer in Rückenlage, damit die Organe untersucht und entnommen werden können. Selten wird der Körper umgedreht. Unser 297
Injektionsbesteck hinterlässt Einstichspuren, die aber selbst unter den günstigsten Umständen nur schwer zu entdecken sind, und auch dann nur, wenn man die betreffende Stelle gezielt in Augenschein nimmt. Selbst Drogenabhängige –
darauf wird bei der Untersuchung übrigens ebenfalls geachtet – spritzen sich selbst nicht ins Hinterteil. Es wird also nach einem unerklärlichen Herzinfarkt aussehen. Kommt täglich vor. Selten, aber keineswegs außergewöhnlich. Ta-chykardie kann eine der Ursachen dafür sein. – Der Injekti-onsstift ist ein modifizierter Insulinstift, wie Typ-I-Diabetiker ihn benutzen. Ihre Techniker haben ihn wirklich hervorragend getarnt. Sie können sogar damit schreiben, aber wenn Sie den Schaft drehen, erscheint an Stelle der Mine die Spritze. Eine Gaspatrone im oberen Teil
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