12 - Im Auge des Tigers
hatten sie versäumt: die Nachrichtendienste auf die Aufgabe vorzubereiten, die da auf sie zu-48
kam. Sogar ein Präsident, der selbst einschlägige Erfahrungen als Geheimdienstler besaß, und der beste CIA-Direktor der amerikanischen Geschichte zusammen hatten nicht allzu viel ausrichten können. Sie hatten das Personal erheblich aufgestockt – 500 zusätzliche Mitarbeiter in einer Be-hörde mit insgesamt 20.000, das schien nicht gerade viel, aber die Einsatzleitung war dadurch auf das Doppelte ihrer vorherigen Größe angewachsen. Im Klartext hieß das: Die personelle Situation in der CIA war nur noch halb so verheerend unzureichend wie zuvor, was jedoch keineswegs mit einer ausreichenden Ausstattung zu verwechseln war.
Und im Gegenzug hatte der Kongress Auflagen und Be-grenzungen weiter verschärft, wodurch die neuen Leute, die das Fleisch am Skelett der Behörde sein sollten, wiederum in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt wurden. Es war doch immer dasselbe mit dem Kongress. Hendley selbst hatte mit seinen Kollegen im exklusivsten Männer-klub der Welt endlose Debatten geführt. Manche hörten auf ihn, andere nicht, und fast der gesamte Rest wechselte ständig den Standpunkt. Diese Leute maßen den Leitarti-keln schlichtweg zu großes Gewicht bei – häufig sogar jenen aus Zeitungen anderer Bundesstaaten, denn sie hielten die Presse unsinnigerweise für das Sprachrohr des amerikanischen Volkes. Vielleicht geriet ganz einfach jeder neu gewählte Abgeordnete zwangsläufig in dieses Spiel hinein, wie Gaius Julius Caesar einst Kleopatra auf den Leim gegangen war. Der heilige Gral in der heutigen Politik waren, wie Hendley wusste, die Mitarbeiter und »professionellen«
Berater, die ihre Vorgesetzten zur Wiederwahl »führten«. In Amerika gab es keine erblichen Herrschaftsansprüche, da-für aber reichlich Menschen, die sich bereitwillig dazu her-gaben, ihren Arbeitgebern als untergeordnete Helfer den rechten Weg in die göttlichen Sphären der Regierung zu weisen.
Und innerhalb dieses Systems war einfach nichts auszurichten.
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Um etwas zu bewirken, musste man also außerhalb des Systems stehen – und zwar verdammt weit außerhalb.
Und falls es irgendjemand bemerkte – nun, war sein Ruf nicht ohnehin schon ruiniert?
Hendleys erster Termin des Tages war eine Besprechung mit einigen Mitarbeitern. Eine Stunde lang diskutierten sie Finanzgeschäfte, denn damit machte Hendley Associates Geld. Bei seinen Warenbörsen- und Devisenarbitrage-Geschäften war er den anderen beinahe von Anfang an immer eine Nasenlänge voraus gewesen, wenn es darum ging, kurzfristige Kursschwankungen – »Deltas«, wie er sie zu bezeichnen pflegte – vorherzusehen. Solche Schwankungen entstanden aufgrund psychologischer Faktoren, Stimmungen und Erwartungen, unabhängig davon, ob sich diese später erfüllten.
Er wickelte seine Geschäfte ausschließlich anonym über Banken im Ausland ab, und zwar über solche, die eine Vorliebe für hohe liquide Beträge hatten und es mit der Herkunft des Geldes nicht allzu genau nahmen. Hauptsache, es handelte sich nicht allzu offensichtlich um schmutziges Geld, und das war bei Hendley sicher nicht der Fall. Auch in dieser Hinsicht operierte er also außerhalb des Systems.
Nicht, dass alle seine Geschäfte durch und durch legal gewesen wären. Die eine oder andere nachrichtendienstliche Information aus Fort Meade erleichterte das Spiel erheblich. Genau genommen, war das sogar verteufelt illegal und auch in moralischer Hinsicht alles andere als einwand-frei. Aber Hendley Associates richtete auf den internationalen Märkten keinen nennenswerten Schaden an. Das hätte anders sein können, doch das Unternehmen handelte nach dem Prinzip, dass Ferkel gefüttert und Schweine geschlachtet werden, und bediente sich nur bescheiden aus dem internationalen Trog. Außerdem gab es im Grunde keine Behörde, die für Verbrechen dieser Art und Größenordnung zuständig gewesen wäre. Als Absicherung befand sich zudem ein offizieller Freibrief sicher verschlossen in 50
einem Safe des Unternehmens – unterzeichnet vom ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Tom Davis trat ein. Davis war namentlich der Leiter der Abteilung für Anleihengeschäfte. Sein Hintergrund hatte manches mit dem Hendleys gemeinsam. Er brachte seine Tage gebannt vor dem Computer sitzend zu, wobei er sich um Sicherheit keine Sorgen machte – sämtliche Wände in diesem Gebäude waren mit Metallabschirmung gegen
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