12 - Im Auge des Tigers
fest.
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Während der Fahrer sie zu ihrem Hotel brachte, schwieg er beharrlich. Das beeindruckte seine Fahrgäste – wenn es nichts zu sagen gab, sollte man schweigen.
Das Hotel war erwartungsgemäß gut. Mustafa benutzte beim Einchecken seine gefälschte Visa-Card, und fünf Minuten später standen er und sein Freund in ihrem geräumigen Zimmer in der fünften Etage. Ehe sie ein Gespräch anfingen, kontrollierten sie die üblichen Stellen auf Wanzen.
»Ich dachte schon, dieser verdammte Flug nimmt nie ein Ende«, klagte Mustafa, während er in der Minibar nach einer Flasche Wasser suchte. Man hatte ihnen eingeschärft, das Zeug aus der Leitung mit Vorsicht zu genießen.
»Ging mir auch so. Wie hast du geschlafen?«
»Nicht gut. Ich dachte, Alkohol hätte wenigstens ein Gutes: dass man davon bewusstlos wird.«
»Bei manchen wirkt er so, nicht bei allen«, erklärte Mustafa seinem Freund. »Dafür gibt es andere Drogen.«
»Die sind von Gott verboten«, bemerkte Abdullah. »Au-
ßer wenn sie von einem Arzt verabreicht werden.«
»Wir haben Freunde, die nicht so denken.«
»Ungläubige«, stieß Abdullah hervor.
»Der Feind deines Feindes ist dein Freund.«
Abdullah schraubte eine Flasche Evian auf. »Nein. Einem echten Freund kann man vertrauen. Können wir diesen Männern etwa vertrauen?«
»Nur so weit, wie wir müssen«, räumte Mustafa ein. Als Mohammed seine Instruktionen für die Mission ausgab, hatte er zur Vorsicht gemahnt. Diese neuen Verbündeten würden ihnen nur helfen, weil es ihren eigenen Bedürfnissen entgegenkam, weil sie ebenfalls darauf aus waren, dem großen Satan Schaden zuzufügen. Für den Augenblick reichte das. Eines Tages würden diese Verbündeten zu Feinden werden, und dann musste man gegen sie vorgehen. Doch noch war dieser Tag nicht gekommen. Mustafa unterdrückte ein Gähnen. Zeit, sich ein wenig auszuruhen.
Der morgige Tag würde stressig werden.
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Jack bewohnte ein Apartment in Baltimore, ein paar Blocks vom Orioles Park in Camden Yards entfernt, dem Baseball-stadion, für das er eine Saisonkarte besaß. Heute blieben die Lichter jedoch aus – die Orioles waren in Toronto. Jack, im Kochen nicht gerade bewandert, aß wie gewöhnlich auswärts – diesmal mangels weiblicher Begleitung allein. Das kam häufiger vor, als ihm lieb war. Nach dem Essen kehrte er in sein Apartment zurück und schaltete den Fernseher ein, überlegte es sich dann jedoch anders und setzte sich stattdessen an den Computer. Er loggte sich ein, um seine E-Mails abzurufen und im Netz zu surfen. Dabei kam ihm ein Gedanke: Auch bin Sali lebte allein. Er hatte zwar häufig Callgirls als Gesellschaft, aber keineswegs jeden Abend.
Wie er wohl sonst seine Abende verbrachte? Am Computer? Das taten viele. Zapften die Briten seine Telefonleitun-gen an? Bestimmt. Aber in bin Salis Akte stand nichts über E-Mails… Warum wohl? Eine Frage, der nachzugehen sich lohnen könnte.
»Was denkst du, Aldo?«, fragte Dominic seinen Bruder. Auf ESPN lief ein Baseballspiel – die Mariners gegen die Yan-kees. Erstere waren im Rückstand.
»Ich kann mich nicht recht mit dem Gedanken anfreun-den, irgendeinen Typen auf der Straße abzuknallen.«
»Aber wenn du weißt, dass er ein Schurke ist?«
»Und was, wenn ich den Falschen umlege, nur weil er das gleiche Auto fährt und den gleichen Schnurrbart trägt?
Was, wenn er Frau und Kinder hinterlässt? Dann bin ich ein verfluchter Mörder – ein Auftragskiller noch dazu. Weißt du, so was haben wir wirklich nicht in der Grundausbildung gelernt.«
»Aber wenn du weißt, dass er ein Verbrecher ist, was dann?«, fragte der FBI-Agent.
»Hey, Enzo, dir haben sie so was aber auch nicht auf der Akademie beigebracht.«
»Schon klar, aber das hier ist was anderes. Wenn ich weiß, 194
dass der Hundesohn ein Terrorist ist und wir ihn nicht verhaften können, und wenn ich weiß, dass er weitere Anschläge plant – ich denke, dann käme ich schon damit klar.«
»Weißt du, draußen in den Bergen in Afghanistan, da waren unsere Informationen nicht immer erste Sahne. Da hab ich gelernt, meinen eigenen Arsch zu riskieren, aber nicht den von irgendeinem anderen armen Teufel.«
»Die Leute, hinter denen du da her warst – wen hatten die umgebracht?«
»Hey, die gehörten einer Organisation an, die Krieg gegen die Vereinigten Staaten von Amerika führte. Das waren bestimmt keine Pfadfinder. Direkte Beweise habe ich allerdings nie zu Gesicht bekommen.«
»Und wenn du sie zu
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