12 - Im Auge des Tigers
Kreditkarte. Und warum das? Damit seine Familie ihm nicht auf die Schliche kam? Nun, Jack sprach ebenfalls nicht mit Mom und Dad über sein Liebesleben. Er brachte auch kaum jemals eine Freundin mit in sein Elternhaus. Seine Mutter verschreckte die Mädchen leicht. Sein Dad seltsamerweise nicht. Frau Dr. med. Ryan wirkte auf ihre Geschlechtsgenossinnen außerordentlich stark, was die meisten jungen Frauen zwar bewunderten, doch viele fühlten sich dadurch auch entsetzlich eingeschüchtert. Sein Vater dagegen ließ Gäste stets den ganzen Machtkrempel vergessen und trat als distinguierter, grauhaariger Teddy-bär auf. Ganz besonders liebte es sein Dad, mit seinem Sohn Kyle – dem Kleinsten – auf dem Rasen, von wo aus man die Chesapeake Bay überblicken konnte, Kricketbälle fangen zu üben – vielleicht eine Erinnerung an unkompliziertere Zeiten. Der jüngste Ryan besuchte noch die Grundschule und war in einem Alter, in dem man verstohlene Fragen über Santa Claus stellte, wenn Mom und Dad nicht in der Nähe waren. Wahrscheinlich gab es ein Kind in seiner Klasse, das jeden wissen lassen wollte, was es selbst wusste – so jemanden gab es in jeder Klasse –, und auch Katie war inzwischen im Bilde. Sie spielte zwar noch immer gern mit Barbies, doch ihr war klar, dass ihre Mom und ihr Dad das Spielzeug bei Toys »R« Us in Glen Burnie kauften, und am Weihnachtsabend half sie bei den Vorbereitungen mit. Sein Vater liebte dieses Ritual innig, so sehr er sich auch sträub-te, es zuzugeben. Wenn man aufhörte, die Bräuche an Weihnachten zu pflegen, ging es mit der ganzen verdammten Welt nur noch bergab…
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»Das sagt uns, dass er kein gesprächiger Mensch ist. Viel mehr eigentlich nicht«, erwiderte Jack nach kurzem Nachdenken. »Wir stricken uns hier die Fakten nicht selbst aus Schlussfolgerungen zurecht, oder?«
»Korrekt. Eine Menge Leute denken anders, aber wir hier nicht. Voreilige Schlussfolgerung ist die Mutter aller Plei-ten. Dieser Psychokomiker in Langley hat sich aufs Kon-struieren spezialisiert. Er ist gut darin, aber man muss trotzdem lernen, zwischen Spekulation und Fakten zu unterscheiden. Also, erzählen Sie mir von Mr bin Sali«, verlangte Wills.
»Er ist geil, und er redet nicht viel. Er spielt äußerst konservativ mit dem Geld seiner Familie.«
»Irgendwas dabei, das ihn nach einem bösen Buben aussehen lässt?«
»Nein, aber es lohnt sich, ihn im Auge zu behalten, und zwar wegen seines religiösen… hm, Extremismus wäre das falsche Wort, dafür haben wir auch keine Anhaltspunkte.
Nennen wir es einfach mal religiöse Überzeugung. Er ist kein Angeber, trägt nicht dick auf, wie reiche Leute in seinem Alter es normalerweise tun. Wer hat eigentlich die Akte über ihn zusammengestellt?«, erkundigte sich Jack.
»Die Briten. Einer ihrer hochrangigen Analytiker ist auf irgendetwas an diesem Burschen angesprungen. Dann hat Langley mal einen flüchtigen Blick drauf geworfen und eine eigene Akte für ihn angelegt. Später wurde ein Gespräch belauscht, zwischen ihm und einem Typen, über den in Langley ebenfalls eine Akte existiert – es ging in dem Gespräch um nichts Wichtiges, aber so kam halt eins zum anderen«, erklärte Wills. »Und eine Akte anzulegen ist erheblich einfacher, als sie wieder zu schließen, müssen Sie wissen. Der Gerätecode seines Handys ist in die NSA-Computer eingespeist, und die geben jedes Mal Meldung, wenn er es einschaltet. Ich hab mich auch schon durch die Akte gewühlt. Ich denke, es lohnt sich, ihn weiter zu beobachten – aber ich weiß nicht recht warum. Man lernt in 189
dieser Branche, seinem Instinkt zu vertrauen, Jack. Ich er-nenne Sie also hiermit zum hauseigenen Experten für diesen Burschen.«
»Und ich versuche rauszukriegen, was er mit seinem Geld macht?«
»Ganz recht. Wissen Sie, eine Horde Terroristen zu finanzieren kostet nicht viel – das heißt, nicht viel in seinem Umfeld. Eine Million Dollar im Jahr ist für diese Leute eine Menge Geld. Die leben von der Hand in den Mund, und ihre laufenden Ausgaben sind nicht allzu hoch. Sie, Jack, müssen also auf eher unbedeutende Beträge achten. Wahrscheinlich versucht bin Sali, diese Machenschaften – sofern er tatsächlich welche treibt – im Schatten seiner großen Transaktionen zu verstecken.«
»Ich bin doch kein Wirtschaftsprüfer«, protestierte Jack.
Sein Vater hatte vor langer Zeit mal die Qualifikation zum Certified Public Accountant erworben, aber nie davon Gebrauch gemacht, nicht
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