12 - Im Auge des Tigers
Alexander überreichte ihm das Dokument.
Das Ding sah aus wie ein Führerschein und passte in die Brieftasche. »Dann kann ich jetzt ganz legal mit Pistole auf die Straße gehen?«
»In der Praxis würde ohnehin kein Cop einem Offizier von den Marines Scherereien machen, der eine Waffe dabei hat, ob sichtbar oder nicht. Trotzdem – lieber hundertfünf-zigprozentig sicher gehen. Sie werden die Beretta tragen?«
»An die bin ich gewöhnt, und fünfzehn Schuss sind eine sichere Sache. Worin soll ich sie tragen?«
»Besorg dir so eins, Aldo«, riet Dominic und hielt sein so 217
genanntes fanny pack hoch. Es handelte sich um eine Bauch-tasche, die aussah wie eine große Geldbörse an einem Gürtel – wie diese Taschen, die Frauen häufig um die Taille trugen. Wenn man an der Schnur zog, öffnete sich die Tasche, und zum Vorschein kamen eine Pistole sowie zwei Reservemagazine. »Solche Dinger benutzen viele Agenten.
Sind bequemer als Hüfthalfter. Die bohren sich bei langen Autofahrten so in die Nieren.«
Brian nickte. Fürs Erste steckte er die Waffe in seinen Gürtel. »Wohin geht’s heute, Pete?«
»Noch mal ins Einkaufszentrum. Wieder Beschatten ü-
ben.«
»Na großartig«, kommentierte Brian. »Warum haben Sie eigentlich keine Pillen, die unsichtbar machen?«
»H. G. Wells hat das Rezept mit ins Grab genommen.«
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Kapitel 9
Geht mit Gott
Jacks Fahrt zum Campus dauerte etwa 35 Minuten. Unterwegs hörte er immer die Morning Edition des nichtkommer-ziellen Radiosenders NPR, weil er wie sein Vater keine aktuellen Musikrichtungen mochte. Die Gemeinsamkeiten mit seinem Vater hatten John Patrick Ryan jr. sein Leben lang sowohl gestört als auch fasziniert. In seiner Teenagerzeit kämpfte er dagegen an, versuchte, sich gegenüber der bie-deren Art seines Vaters abzugrenzen und sich eine eigene Identität aufzubauen. Doch in der Collegezeit setzten sich die Ähnlichkeiten dann beinahe unmerklich wieder durch.
Dabei glaubte Jack, einfach nur vernünftig zu handeln, wenn er beispielsweise mit Mädchen anbändelte, die als Ehefrau infrage gekommen wären. Allerdings hatte er dabei nie ganz die Richtige gefunden. Den Maßstab hierfür wiederum richtete er unbewusst an seiner Mutter aus.
Es war ihm immer übel aufgestoßen, wenn seine Dozen-ten in Georgetown erklärten, der Apfel fiele nicht weit vom Stamm. Anfangs fühlte er sich durch solche Äußerungen gekränkt, bis er sich darauf besann, dass sein Vater doch 219
gar kein so schlechter Kerl war. Jack Ryan sen. hatte durchaus rebellische Zeiten durchlebt, selbst an einer konservativen Uni wie G-Town mit ihrer Jesuitentradition und ihren hohen akademischen Ansprüchen. Manche von Jacks Kommilitonen legten damals demonstrative Ablehnung gegenüber ihren Eltern an den Tag – aber seiner Meinung nach konnte nur ein Arschloch so etwas tun. So konservativ und altmodisch sein Dad zweifellos war – im Grunde war er doch ein ganz guter Vater gewesen, jedenfalls im Vergleich zu anderen Vätern. Er hatte niemals seine Autorität herausgekehrt, sondern seinem Sohn stattdessen die Möglichkeit gegeben, eigene Wege zu gehen und selbstständig Entscheidungen zu treffen… im Vertrauen darauf, dass er sich schon von selbst nach den Wünschen seines Vaters entwickeln würde?, fragte sich Jack nun. Aber – nein, wenn sein Vater solch ein Verschwörer gewesen wäre, hätte er, Jack, das mit Sicherheit bemerkt.
A propos Verschwörung… ein beliebtes Thema in der Presse und der Schundliteratur. Sein Vater hatte sogar mehr als einmal flapsig bemerkt, eigentlich müsse das Marine Corps seinen »Privat«-Helikopter schwarz anstreichen. Das wäre ein gelungener Scherz gewesen, fand Jack. Seinen Ziehvater, Mike Brennan, hatte er regelmäßig mit Fragen gelöchert, häufig auch mit solchen über Verschwörungen.
Als er erfuhr, dass der United States Secret Service hundertprozentig sicher war, dass Lee Harvey Oswald tatsächlich John F. Kennedy ermordet hatte – und zwar im Alleingang –, war er zutiefst enttäuscht. An der Akademie in Beltsville bei Washington hatte Jack eine Replik des 6.5-Millimeter-Mannlicher-Carcano, mit dem der frühere Prä-
sident erschossen worden war, in der Hand gehalten und sogar selbst abgefeuert. Die ausführlichen Informationen über den Fall räumten all seine Zweifel aus, auch wenn die Verschwörungsindustrie inbrünstig – und geschäftstüchtig
– an ihren Gegenkonstrukten festhielt. Zu diesen gehörte sogar die These, sein Vater
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