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12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

Titel: 12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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verstehen. Derjenige Abendländische, welcher sich mißachtet sieht, trägt selbst die Schuld. Ein klein wenig persönlicher Mut und eine möglichst große Dosis Unbescheidenheit, unterstützt von derjenigen lieben Tugend, welche man bei uns Grobheit nennen würde, sind unter gewissen Voraussetzungen von dem allerbesten Erfolg. Allerdings gibt es andererseits Verhältnisse, in denen man gezwungen ist, sich einiges oder sogar auch vieles gefallen zu lassen. Dann ist es aber sehr geraten, zu tun, als ob man gar nichts bemerkt habe. Freilich gehört nicht nur Kenntnis der Verhältnisse und Berücksichtigung des einzelnen Falles, sondern auch eine gute Übung dazu, um zu entscheiden, was dann besser und klüger sei: Grobheit oder Geduld und Selbstüberwindung, die Hand an der Waffe oder – die Hand im Beutel.
    „Sihdi, was hast du getan!“ rief Halef.
    Er fürchtete trotz seiner Unerschrockenheit doch die Folgen meines Verhaltens.
    „Was ich getan habe? Nun, die beiden Lümmel hinausgewiesen!“
    „Kennst du diese Arnauten?“
    „Sie sind blutgierig und rachsüchtig.“
    „Das sind sie. Hast du in Kahira nicht gesehen, daß einer von ihnen eine alte Frau bloß deshalb niederschoß, weil sie ihm nicht auswich? Sie war blind.“
    „Ich habe es gesehen. Diese hier aber werden uns nicht niederschießen.“
    „Und kennst du den Pascha?“
    „Er ist ein sehr guter Mann!“
    „O, sehr gut, Sihdi! Halb Mossul ist leer, weil sich alle vor ihm fürchten. Kein Tag vergeht, ohne daß zehn oder zwanzig die Bastonade erhalten. Wer reich ist, lebt morgen nicht mehr, und sein Vermögen gehört dem Pascha. Er hetzt die Stämme der Araber aufeinander und bekriegt dann den Sieger, um ihm die Beute abzunehmen. Er spricht zu seinen Arnauten: ‚Geht, zerstört, mordet, aber bringt mir Geld!‘ Sie tun es, und er wird reicher als der Padischah. Wer heute noch sein Vertrauter ist, den läßt er morgen einstecken und übermorgen köpfen. Sihdi, was wird er mit uns tun?“
    „Das müssen wir abwarten.“
    „Ich will dir etwas sagen, Sihdi. Sobald ich sehe, daß er uns etwas böses zufügen will, werde ich ihn niederschießen. Ich sterbe nicht, ohne ihn mitzunehmen.“
    „Du wirst gar nicht in die Lage kommen, denn ich gehe allein zu ihm.“
    „Allein? Das gebe ich nicht zu. Ich gehe mit!“
    „Darf ich dich mitnehmen, wenn er nur mich bei sich sehen will?“
    „Allah il Allah! So werde ich hier warten. Aber ich schwöre es dir bei dem Propheten und allen Kalifen; wenn du am Abend noch nicht zurück bist, so lasse ich ihm sagen, daß ich ihm etwas wichtiges mitzuteilen hätte; er wird mich annehmen, und dann schieße ich ihm alle beiden Kugeln vor den Kopf!“
    Es war sein Ernst, und ich bin überzeugt, er hätte es getan, der wackere Kleine. Einen solchen Schwur hätte er nicht gebrochen.
    „Aber Hanneh?“ fragte ich.
    „Sie soll weinen, aber stolz auf mich sein. Sie soll nicht einen Mann lieb haben, der seinen Effendi töten läßt!“
    „Ich danke dir, mein guter Halef! Aber ich bin überzeugt, daß es nicht so weit kommen wird.“
    Nach einer Weile vernahmen wir wieder Schritte. Ein gewöhnlicher Soldat trat ein. Er hatte die Schuhe draußen ausgezogen.
    „Salama!“ grüßte er.
    „Sallam! Was willst du?“
    „Bist du der Effendi, welcher mit dem Pascha reden will?“
    „Ja.“
    „Der Pascha – Allah schenke ihm tausend Jahre! – hat dir eine Sänfte gesandt. Du sollst zu ihm kommen!“
    „Geh hinauf. Ich komme gleich!“
    Als er hinaus war, sagte Halef:
    „Sihdi, siehst du, daß es gefährlich wird?“
    „Warum?“
    „Er sendet keinen Agha, sondern einen gewöhnlichen Soldaten.“
    „Es mag sein: aber mache dir keine Sorge!“
    Ich stieg die wenigen Stufen hinauf. Ah! Vor dem Haus hielt ein Trupp von etwa zwanzig Arnauten. Sie waren bis an die Zähne bewaffnet, und einer der beiden Aghas, welcher vorher bei mir gewesen war, befehligte sie. Zwei Hammals (Träger) hielten einen Tragsessel bereit.
    „Steig ein!“ gebot mir der Agha mit finsterer Miene.
    Ich tat es möglichst unbefangen. Diese Eskorte ließ mich vermuten, daß ich so halb und halb ein Gefangener sei. Ich wurde im Trab fortgetragen, bis man vor einem Tor still hielt.
    „Steig aus und folge mir!“ befahl der Agha in dem vorigen Ton.
    Er führte mich eine Treppe empor nach einem Zimmer, in welchem verschiedene Offiziere standen, die mich mit finsteren Blicken musterten. Am Eingang saßen einige Zivilisten, Einwohner der Stadt, denen man es

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