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12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

Titel: 12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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hatten einst, der Stimme Jehova Sabaoths gehorchend, zwei Mauern gebildet, zwischen denen die Geknechteten des Landes Gosen den Weg zur Freiheit gefunden hatte, während das reisige Volk ihrer Unterdrücker und Verfolger einen schauervollen Untergang fand. Das waren dieselben Fluten, in denen später auch der ‚Sultan Kebihr‘, Napoleon Bonaparte, beinahe umgekommen wäre.
    Und gegenüber dem Birket Faraun, dem See des Pharao, wie die Araber den Ort nennen, an welchem die beiden Wassermauern über die Ägypter zusammenschlugen, erhebt sich der Felsenstock des Sinai, des berühmtesten Berges der Erde, gewaltig und den Zeiten trotzend, gleichdem unter Donner und Blitz über ihm erschollenen: „Ich bin der Herr, dein Gott; du sollst keine fremden Götter neben mir haben!“
    Es war nicht die Örtlichkeit allein, es war noch viel mehr die Geschichte derselben, deren Eindruck ich nicht von mir zu weisen vermochte, wenn ich es auch gewollt hätte. Wie oft hatte ich lauschend und mit stockendem Atem auf dem Schoß meiner alten, guten, frommen Großmutter gesessen, wenn sie mir erzählte von der Erschaffung der Welt, dem Sündenfall, dem Brudermord, der Sündflut, von Sodom und Gomorrha, von der Gesetzgebung auf dem Sinai – sie hatte mir die kleinen Hände gefaltet, damit ich ihr mit der nötigen Andacht das zehnfache ‚du sollst‘ nachsprechen möge. Jetzt lag die irdische Hülle der Guten schon längst unter der Erde, und ich hielt gegenüber dem Ort, welcher mir von ihr in so lebendigen Farben gezeichnet worden war, obgleich nur ihr geistiges Auge ihn gesehen hatte, und es drängte sich mir die Wahrheit des Dichterwortes auf:
    „Ganz anders jene heiligen Geschichten,
Die nur das Buch der Bücher kann berichten,
In dem vom Geiste sie verzeichnet steh'n.
Nur ihnen darfst du festen Glauben schenken
Und tief in ihren Zauber dich versenken,
Denn Gottes Odem fühlst du daraus weh'n.“
    Der Glaube trägt eine festere Überzeugung in sich, als das stolzeste Gebäude menschlicher Logik sie zu geben vermag. Das war es, was ich in jener Stunde so recht lebhaft fühlte und erkannte, und ich hätte wohl noch lange, in ernstes Sinnen versunken, hier auf meinem Kamel halten und hinüberblicken können, wenn mich nicht die Stimme meines wackeren Halef gestört hätte:
    „Hamdullillah, Preis sei Gott, daß die Wüste vorüber ist! Sihdi, hier ist Wasser. Steige herab von dem Tier und labe dich im Bad, so wie ich es jetzt tun werde.“
    Da trat einer der beiden Beduinen, welche uns geführt hatten, zu mir heran und erhob warnend die Hand.
    „Tu es nicht, Effendi!“
    „Warum?“
    „Weil hier Melek el newth, der Engel des Todes, – wohnt. Wer hier in das Wasser geht, der wird entweder ertrinken oder den Keim des Sterbens mit sich fortnehmen. Jeder Tropfen dieser See ist eine Träne der hunderttausend Seelen, die hier umgekommen sind, weil sie Sidna Musa (Moses) und die Seinigen töten wollten. Hier eilt jedes Boot und jedes Schiff vorüber, ohne anzuhalten; denn Allah, den die Hebräer Dschehuwa (Jehova) nannten, hat diesen Ort verflucht.“
    „Ist es wirklich so, daß hier kein Schiff anhält?“
    „Ja.“
    „Ich wollte hier ein Fahrzeug erwarten, welches mich aufnehmen sollte.“
    „Es soll dich nach Suez bringen? Wir werden dich führen, und du sollst auf unseren Kamelen schneller hinkommen, als auf einem Schiff.“
    „Ich will nicht nach Suez, sondern nach Tor.“
    „Dann mußt du allerdings fahren; aber hier wird dich kein Fahrzeug aufnehmen. Erlaube, daß wir dich noch eine Strecke nach Süden begleiten, bis wir einen Ort erreichen, an welchem keine Geister wohnen und wo ein jedes Schiff gern anhalten wird, um dich aufzunehmen.“
    „Wie lange haben wir da noch zu reiten?“
    „Nicht ganz dreimal die Zeit, welche von den Franken eine Stunde genannt wird.“
    „Dann vorwärts!“ –
    Um an das Rote Meer zu gelangen, hatte ich nicht den gewöhnlichen Weg von Kairo nach Suez eingeschlagen. Die zwischen den beiden Städten liegende Wüste verdient den Namen Wüste schon längst nicht mehr. Früher war sie gefürchtet, sowohl wegen ihres vollständigen Wassermangels als auch wegen der räuberischen Beduinen, die auf der öden Strecke ihr Wesen trieben. Jetzt ist das anders geworden, und dies war der Grund, daß ich mich weiter südwärts gehalten hatte. Ein Ritt durch die Einöde hatte für mich mehr Interesse als eine Reise auf gebahnten Wegen. Deshalb wollte ich jetzt auch Suez vermeiden, welches mir doch nur

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