12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
jenseitigen Küste zu. Hier war jedenfalls etwas ‚nicht richtig im Staate Dänemark‘.
Halef stand neben mir und beobachtete mich. Er schien sich damit zu beschäftigen, meine Gedanken zu erraten.
„Siehst du ihn noch, Sihdi?“ fragte er mich.
„Ja.“
„Er denkt, daß wir ihn nicht mehr sehen können, und rudert dem Land zu?“
„So ist es. Woraus vermutest du dies?“
„Nur Allah ist allwissend, aber auch Halef hat scharfe Augen.“
„Und was haben diese Augen gesehen?“
„Daß dieser Mann weder ein Derwisch noch ein Fakir war.“
„Ah?“
„Ja, Sihdi. Oder hast du jemals gesehen und gehört, daß ein Derwisch von dem Orden Kaderijeh die Litanei der Hawlajüp (Der ‚Heulenden‘ – heulende Derwische) redet und singt?“
„Das ist richtig. Aber weshalb sollte er sich für einen Fakir ausgeben, wenn er keiner ist?“
„Das muß man zu erraten suchen, Effendi. Er sagte, daß er auch während der Nacht fahren werde. Warum tut er es nicht?“
Da unterbrach der Steuermann unser Gespräch. Er trat herzu und fragte:
„Wo wirst du schlafen, Effendi?“
„Ich werde mich in den Tachta-perde (Verschlag) legen.“
„Das geht nicht.“
„Warum?“
„Weil dort das Geld aufbewahrt wird.“
„So wirst du uns Teppiche besorgen, um uns hineinzuhüllen, und wir schlafen hier auf dem Verdeck.“
„Du sollst sie haben, Sihdi. Was würdest du tun, wenn Feinde zu dem Schiff herankämen?“
„Welche Feinde meinst du?“
„Räuber.“
„Gibt es hier Räuber?“
„Die Dscheheïne wohnen hier in der Nähe. Sie sind berüchtigt als die größten Chirsizler (Spitzbuben) weit und breit, und kein Schiff, kein Mensch ist vor ihnen sicher.“
„Ich denke, Euer Herr, der Wergi-Baschi Muhrad Ibrahim, ist ein Held, ein tapferer Mann, der sich vor keinem Menschen fürchtet, auch vor keinem Räuber, vor keinem Dscheheïne?“
„Das ist er; aber was vermag er, und was vermögen wir alle gegen Abu-Seïf, den ‚Vater des Säbels‘, der gefährlicher und schrecklicher ist, als der Löwe in den Bergen oder der Haifisch im Meer?“
„Abu-Seïf? Ich kenne ihn nicht; ich habe noch niemals von ihm gehört.“
„Weil du ein Fremdling bist. Zur Weidezeit bringen die Dscheheïne ihre Herden nach den beiden Inseln Libnah und Dschebel Hassan und lassen nur wenig Männer bei ihnen. Die anderen aber gehen auf Raub und Diebstahl aus. Sie überfallen die Barken und nehmen entweder alles, was sie darauf finden, oder erpressen sich ein schweres Lösegeld, und Abu-Seïf ist ihr Anführer.“
„Und was tut die Regierung dagegen?“
„Welche?“
„Steht Ihr denn nicht im Giölgeda padischahnün?“
„Der reicht nicht bis zu den Dscheheïne. Dies sind freie Araber, welche der Großscherif von Mekka beschützt.“
„So helft euch selbst! Fangt die Räuber!“
„Effendi, du sprichst wie ein Franke redet, der dies nicht versteht. Wer kann Abu-Seïf fangen und töten?“
„Er ist doch nur ein Mensch.“
„Aber er besitzt die Hilfe des Scheïtan (Teufels). Er kann sich unsichtbar machen; er kann die Luft und das Meer durchfliegen; er wird weder durch einen Säbel, noch durch ein Messer, noch durch eine Kugel verwundet, aber sein Säbel ist faldschymisch (verhext, bezaubert); er dringt durch Türen und Mauern und schneidet mit einem Hieb gleich hundert und noch mehr Feinden Leib und Seele auseinander.“
„Den möchte ich sehen!“
„O wehe, wünsche das nicht, Effendi! Der Teufel sagt es ihm, daß du ihn sehen willst, und dann kannst du dich darauf verlassen, daß er kommen wird. Ich gehe, um dir die Teppiche zu holen; dann lege dich schlafen und bete vorher zu deinem Gott, daß er dich bewahre vor allen Gefahren, die dir drohen.“
„Ich danke für deinen Rat, aber ich bete gewöhnlich vor dem Schlafengehen.“
Er brachte uns die Decken, in welche wir uns hüllten, und wir schliefen sehr bald ein, da wir von unserem Ritt ermüdet waren.
Während der Nacht hatten einige Matrosen sowohl am Land die Schlafenden als auch an Bord das Geld bewacht. Am Morgen versammelten sich alle auf dem Schiff. Der Anker wurde gehoben, das Seil ausgelöst; man stellte die Segel, und der Sambuk steuerte südwärts.
Wir waren ungefähr drei Viertelstunden lang unter Segel gewesen, als wir ein Boot erblickten, welches in der gleichen Richtung vor uns ruderte. Als wir näher an dasselbe herankamen, sahen wir zwei Männer und zwei völlig verschleierte Frauen darin.
Das Boot hielt bald an, und die Männer gaben ein
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