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12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

Titel: 12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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aber verliert er seine Worte an einen Unbekannten, von dem er sogar nur das weiß, daß er ein Giaur ist.
    Ich hatte mich im Humor des Ärgers für einen berühmten Mann und für einen großen Schützen ausgegeben. Warum wollte er wissen, ob ich ein ‚Pascha‘, ein berühmter Mann, ein Schreiber, ein guter Schütze sei? Was konnte es ihm nützen, zu wissen, ob ich weiter nach Süden wolle und unter den Engländern Freunde habe? Warum hatte er bei der Bejahung dieser letzten Frage gesagt: „Das ist sehr gut“, und zu was konnte es ihm dienen, zu erfahren, ob ich stark und kräftig sei? Und überdies hatte er seine Fragen in der Weise an mich gerichtet, wie sie ein Oberer an seinen Untergebenen, ein Untersuchungsbeamter an einen Angeschuldigten richtet. Am auffälligsten dabei war aber der augenblickliche Gehorsam, den sowohl er als sein Begleiter dem Winke des Weibes leisteten. Das war hier, wo die Frau tief unter dem Mann steht und für das öffentliche Leben nicht die mindeste Selbstbestimmung besitzt, gewiß sehr ungewöhnlich, vielleicht sogar verdächtig.
    „Sihdi“, meinte Halef, welcher nicht von meiner Seite gewichen war, „hast du ihn gesehen?“
    „Wen oder was?“
    „Den Bart.“
    „Den Bart! Welchen Bart?“
    „Den das Weib hatte –“
    „Das Weib? Hatte das Weib einen Bart?“
    „Sie hatte den Jaschmak (Schleier) nicht doppelt, wie vorher, sondern einfach über dem Gesicht, und so habe ich den Bart gesehen.“
    „Schnurrbart?“
    „Vollbart. Sie ist kein Weib, sondern ein Mann. Soll ich es dem Baschi sagen?“
    „Ja, aber so, daß es niemand hört.“
    Er ging. Jedenfalls hatte er sich nicht geirrt; denn ich wußte, daß ich seinen scharfen Augen trauen könne, und unwillkürlich brachte ich diesen neuen Umstand mit dem Derwisch in Verbindung. Ich sah Halef mit dem Baschi reden; dieser schüttelte den Kopf und lachte; er glaubte es nicht. Darauf wandte sich Halef mit einer höchst aufgebrachten Miene von ihm ab und kehrte zu mir zurück.
    „Sihdi, dieser Baschi ist so dumm, daß er sogar mich für dumm hält.“
    „Wieso?“
    „Und dich für noch dümmer als mich.“
    „Ah!“
    „Er sagt, daß ein Weib niemals einen Bart habe, und daß ein Mann niemals die Kleidung eines Weibes anlegen werde. Sihdi, was hältst du von diesen Frauen, welche Vollbärte tragen? Vielleicht sind es Dscheheïne?“
    „Ich vermute es.“
    „So müssen wir die Augen offenhalten, Sihdi!“
    „Das ist das Einzige, was wir tun werden, und dazu gehört vor allen Dingen, daß wir unser Mißtrauen und unsere Aufmerksamkeit zu verbergen suchen. Halte dich abseits von mir, aber so, daß wir einander stets beispringen können.“
    Er entfernte sich eine ziemliche Strecke, und ich ließ mich auf den Teppich nieder. Dann beschäftigte ich mich mit Einträgen in mein Tagebuch, behielt aber dabei sowohl den Verschlag, als auch die beiden Araber immer im Auge. Es war mir, als hätte ich alle Augenblicke ein unangenehmes Ereignis zu erwarten; dennoch aber verging der Tag, ohne daß irgend etwas Bedenkliches eingetreten wäre.
    Der Abend dämmerte bereits, als wir in einer kleinen Bucht vor Anker gingen, welche gebildet wird durch eine hufeisenförmige Krümmung des Dschebel Nayazet, der zur großen Granitkette des Sinai gehört.
    Die Küste war sehr schmal, denn nur wenige Schritte vom Ufer entfernt, stiegen die tief zerklüfteten Felsen steil zum Himmel empor. Der Ankerplatz bot aus diesem Grunde vollständige Sicherheit gegen die Winde, ob aber heute auch gegen andere Störungen –? Ich hätte gern einige der nächsten Klüfte und Felsenspalten untersucht, leider aber war der Abend bereits da, ehe die Türken das Land betreten hatten, um, wie gewöhnlich, Feuer anzuzünden.
    El Mogreb und eine Stunde später el Aschia, die beiden Abendgebete, hallten feierlich die steilen Bergwände empor. Wer hier vielleicht verborgen war, mußte unsere Anwesenheit hören, selbst wenn er unser Feuer nicht gesehen hätte. Wie gestern, so hatte ich es auch heute vorgezogen, die Nacht auf dem Fahrzeug zuzubringen, und mit Halef ausgemacht, daß wir abwechselnd wachen wollten. Später kamen einige der Matrosen wieder an Bord, um die Wache zu übernehmen, und da traten auch die beiden Frauen aus dem Verschlag, um an Deck die frische Abendluft zu genießen. Sie hatten sich auch jetzt doppelt verschleiert; das konnte ich bemerken, weil die Sterne des Südens einen solchen Glanz verbreiteten, daß es nicht schwer war, das ganze Verdeck zu

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