12 - Tod Bei Vollmond
Kopfschütteln. »Niemand im Kloster Molaga hat ihm das gesagt, weil es einfach niemand wußte. Wir kennen alle Aibhistíns Abhandlungen, doch niemand hatte eine Ahnung, wo sie sich befanden.«
»Woher hat es Bruder Dangila dann erfahren?« wollte Fidelma wissen.
Nachdenklich rieb sich Bruder Túan das Kinn. »Ich schätze, daß er es von Accobrán weiß.«
»Vom Tanist?«
»Genau. Ich war überrascht, daß sich Accobrán in diesen Dingen so gut auskennt, auch wenn er natürlich einige Zeit in Molaga studiert hat. Er ist ein kluger Mann und tapferer Krieger. Ohne Leute wie ihn hätten die Uí Fidgente vielleicht längst in Cashel die Macht an sich gerissen und die Eóghanacht wären vernichtet worden.« Auf einmal errötete Bruder Túan. »Ich möchte nicht unhöflich gegenüber deinem Bruder sein, Schwester.«
»Es ist allgemein bekannt, daß die Uí Fidgente seit vielen Jahren die Macht über dieses Königreich anstreben. Wie oft haben sie versucht, die Nachfolger von Eoghan in Cashel durch ihre Leute zu ersetzen. Außerdem ist es nicht verwerflich, die Wahrheit zu sagen. Doch was wolltest du über Accobrán erzählen?«
»Accobrán war vor gut zehn Wochen im Kloster Molaga, zur Zeit des Lughnasa-Festes … Nein, warte, ich will genauer sein, was die Daten betrifft, denn ich weiß, daß du als dálaigh äußerste Präzision verlangst. Es war der Tag nach dem Fest, als Accobrán bei uns eintraf. Er hat sich ein paarmal mit den Fremden unterhalten. Bald darauf verkündeten sie, daß sie zur Abtei des heiligen Finnbarr aufbrechen wollten, um dort mit dem Studium der Astronomie fortzufahren. Kurze Zeit nachdem Accobrán uns wieder verlassen hatte, machten sie sich auf den Weg. Sicher hat er Bruder Dangila auf Aibhistíns Schrift hingewiesen.«
»Das war also ein paar Tage nach dem Lughnasa-Fest? Kurz darauf wurde das erste Mädchen, Beccnat, ermordet«, murmelte Fidelma nachdenklich.
»Willst du damit sagen …?« fragte Bruder Túan.
»Ich denke nur über das Geschehene nach, Bruder Túan. Was hältst du von den Fremden? So ganz allgemein.«
»Was ich von ihnen halte?« Bruder Túan zuckte mit den Schultern. »Sie sind gewiß hoch gebildet. Sie sind höflich und besonnen. Sie sind reserviert und achten auf Abstand. Ich würde nicht sagen, daß sie besonders zugänglich sind. Sicher kann man leicht Vorurteile ihnen gegenüber aufbauen.«
»Warum?«
Bruder Túan war unsicher. »Nun, sie sind so anders als wir.«
»Meinst du damit ihre dunkle Hautfarbe?«
Bruder Túan nickte.
»Lassen wir die Hautfarbe einmal beiseite und beurteilen wir die Fremden, wie wir jeden beurteilen sollten – nämlich nach ihrem Charakter.«
»Das ist leicht gesagt. Ich wünschte, alle Menschen könnten sich von ihren Ängsten vor Dingen und Leuten frei machen, die anders sind. Ich denke, daß man so hart über die Fremden urteilt, weil man sie fürchtet.«
»Angenommen, sie wären Fremde, unterschieden sich aber in ihrem Äußeren nicht von uns. Wie würdest du sie dann einschätzen?«
»Sie sind intelligent, gebildet, aber irgendwie unnahbar. Sie sind von einer Aura umgeben, die Argwohn weckt. Nach den Morden läßt das starke Interesse der Fremden an der Sternenkunde die Leute noch mißtrauischer werden.«
Fidelma verriet ihm nicht, daß Brocc behauptete, er hätte gesehen, wie einer der Fremden in der Mordnacht den Mond betrachtete. Sie behielt auch für sich, daß die Fremden nicht preisgegeben hatten, wer es war. Das alles war an sich schon verdächtig, und es brachte sie wieder auf den Anlaß ihres Besuches in der Abtei.
»Vielen Dank, Bruder Túan. Du hast mir sehr geholfen.«
Sie erhoben sich beide von der Bank.
»Ich stehe dir auch weiterhin gern zu Diensten.«
»Bleibst du länger hier?«
»Ein paar Tage. Ich überbringe Briefe meines Abts an Abt Brogán und werde auf die Antwortschreiben warten, ehe ich wieder zur Küste zurückkehre.«
Er verabschiedete sich und ging zum Hauptgebäude hinüber. Gerade lief Bruder Solam über den Hof. Fidelma winkte ihn zu sich.
»Ich bin nun mit Bruder Túan fertig«, sagte sie.
»Das freut mich, Schwester. Ich muß dringend mit dir sprechen«, erwiderte er.
Fidelma war ein wenig erstaunt über seine Direktheit. »In welcher Angelegenheit?«
»Nun, es betrifft den Fall, den du untersuchst.« Er sah sich mit verschwörerischem Blick um. »Die Sache mit dem Vollmond geht mir nicht aus dem Kopf. Es wird so viel über die Fremden geredet. Man vermutet, sie würden vom
Weitere Kostenlose Bücher