12 - Tod Bei Vollmond
vor.
»Es gab keine Beziehung.«
»Aber du kanntest sie und hast mit ihr getanzt. Und Gabrán glaubt, daß mehr dahintersteckte.«
Accobrán war ungehalten. »Mehr war da nicht.«
»Wir haben schon oft festgestellt, daß bloße Verdächtigungen stärker das Handeln beeinflussen als die Wahrheit.«
Der Tanist sah sie überrascht, aber auch ein wenig verunsichert an. »Willst du damit sagen …?«
»Wenn ich rede, versuche ich mich klar auszudrücken«, fuhr sie ihn an.
Es folgte ein längeres Schweigen. Fidelma hatte beschlossen, noch einmal mit Bruder Dangila zu sprechen.
K APITEL 9
Fidelma trennte sich auf dem Weg nach Rath Raithlen trotz lauter Proteste ihrer Begleiter von ihnen, um allein die kurze Strecke zur Abtei des heiligen Finnbarr zurückzulegen.
»Es ist Mittag«, erläuterte sie dem besorgten Eadulf. »Was soll mir schon zu dieser Stunde geschehen, wo doch der Mörder, nach dem wir suchen, nachts bei Vollmond handelt?«
Auch Accobrán war gegen ihr Vorhaben.
»Solange du dich auf dem Gebiet der Cinél na Áeda aufhältst, bin ich für deine Sicherheit verantwortlich, dálaigh «, wandte er ein. »Zumindest ich sollte dich begleiten.«
»Sowohl dein Beistand als auch Eadulfs ist unnötig«, erwiderte sie. »Ich reite allein zur Abtei und werde danach in die Burg zurückkehren. Übrigens, falls euch das interessiert, ich werde noch vor Sonnenuntergang wieder da sein.«
Erst nach weiteren Beschwichtigungen und dem Einsatz ihrer ganzen Autorität gegenüber Accobrán konnte sich Fidelma auf den Weg machen. Sobald Eadulf und Accobrán außer Sicht waren, ließ sie ihr Pferd in einen leichten Galopp fallen. Der Wind blies ihr kühl ins Gesicht. Sie mußte vor Freude lächeln. Kaum hatte sie als Kind laufen gelernt, hatte sie auch schon auf einem Pferderücken gesessen, ganz im Gegensatz zu Eadulf. Fidelma genoß das Reiten, und es gab nur wenige Dinge, die für sie den Reiz eines Galopps übertreffen konnten. Sie hatte so lange mit ihrem kleinen Kind im Schloß von Cashel zubringen müssen, daß es ihr guttat, wieder einmal in der Natur zu sein. Auch liebte sie von Zeit zu Zeit die Einsamkeit und war gern mit ihren Gedanken allein.
Auf einmal überkamen sie Schuldgefühle.
In den letzten Tagen hatte sie nicht einmal an Klein Alchú gedacht. War sie deshalb eine Rabenmutter? Sie brachte ihr Pferd zum Stehen. Sie erinnerte sich daran, was ihr Mentor Brehon Morann einmal im Zusammenhang mit einem Rechtsfall gesagt hatte, in dem ein Vater seine elterlichen Pflichten nicht wahrnahm: »Ein Kind zu gebären ist für eine Frau der Weg zur Allwissenheit.« Doch seit Alchús Geburt hatte sie zu ihrer Beunruhigung feststellen müssen, daß sie das nicht so empfand. Sie hatte weder das Gefühl, weiser geworden zu sein, noch hatte sich jene Freude eingestellt, die ihr die weibliche Verwandtschaft und ihre Freunde prophezeit hatten. Sie war verwirrt. Alchú war für sie wie ein Band, das sie festhielt, eine Beeinträchtigung ihrer Freiheit statt eine Bereicherung ihres Lebens. Sehnte sie sich tatsächlich nach dieser Art von Freiheit, wie sie sie in diesem Augenblick ausleben konnte?
Was hatte noch Euripides gesagt? Glücklich sind die Eltern, deren Kind ihnen Freude und nicht Kummer ist und das ihre Hoffnungen nicht enttäuscht. Warum brachte sie Klein Alchú nicht Gefühle entgegen, wie man sie von ihr erwartete? Es war ja nicht so, daß sie nicht für ihn sorgte oder ihm gegenüber völlig gleichgültig war. Doch man hatte ihr gesagt, die Geburt eines Kindes sei ein alles veränderndes Erlebnis, das auch sie verändern würde. Aber das war bei ihr nicht der Fall. Vielleicht lag die Schwierigkeit darin.
Plötzlich übermannte sie Zorn, sie trat ihrem Pferd heftig in die Flanken und galoppierte los. Diesmal ließ sie ihm freien Lauf. Ihre rotgoldenen Haare wehten im Wind. Sie hob das Gesicht vergnügt der wohltuenden Kühle entgegen. Hatte Brehon Morann nicht auch gesagt, daß ein Galopp an einem frischen, hellen Tag alle bösen Gedanken aus dem Kopf vertreiben könnte?
Nach einiger Zeit beschloß sie, ihr Pferd zu zügeln und umzukehren, denn sie war ein ganzes Stück über ihr Ziel hinausgeritten. Als sie sich auf die Abtei zubewegte, fühlte sie sich zumindest ausgeglichener. Sie grübelte nicht mehr über ihre Mutterrolle nach.
Die Abtei lag im Schatten eines Hügels. Ein großes Fuhrwerk, das von zwei Pferden gezogen wurde, rumpelte langsam auf sie zu. Der Mann auf dem Kutschbock kam Fidelma
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