12 - Tod Bei Vollmond
schon dicht dran, da hörte ich ein Fuhrwerk heranrollen. Der Mond schien hell, ich konnte dunkle Umrisse auf dem Weg erkennen. Ich weiß nicht mehr, warum ich beiseite unter die Bäume trat. Ich glaube, es lag an einem der beiden Männer auf dem Kutschbock.«
»Was für ein Fuhrwerk war das?«
»Ein normaler fén , ein gewöhnlicher Frachtkarren, der von zwei Ochsen gezogen wird. Warum fragst du?«
»Im Detail liegt die Antwort, Bruder Solam. Du hast also ein Gefährt gesehen und dich versteckt. Etwas beunruhigte dich. Wie sah dieser Wagen aus? Hatte er massive oder Speichenräder?«
»Er hatte massive Räder.«
»Diese Art Räder deuten darauf hin, daß der Besitzer nicht so wohlhabend ist wie der eines Wagens mit Speichenrädern. Du hast also einen ziemlich einfachen Karren gesehen. Und dich hat der Anblick des einen Mannes so verschreckt, daß du dich versteckt hast.«
Bruder Solam nickte. »Einen von ihnen habe ich nicht erkannt. Das gebe ich zu. Aber ich sah sein Gewand.«
»Sein Gewand?«
»Es war einer der drei Fremden, die sich im Kloster aufhalten.«
Fidelma blinzelte heftig. Das war aber auch das einzige, was ihre Überraschung verriet. Also hatte Brocc doch recht gehabt. Einer der Fremden war in jener Nacht auf dem Hügel gewesen.
Bruder Solam erzählte weiter. »Ich sah das weiße Gewand, das die Aksumiter tragen, und mir fiel auf, daß der Mann recht groß und sein Gesicht dunkel war.«
»Und du sagst, daß der andere das Gefährt lenkte. Wer war der Mann?«
»Genau das bereitet mir solches Unbehagen.«
Fidelma starrte ihn an. »Der Anblick eines der Fremden in jener Nacht auf jenem Fuhrwerk hat dich nicht beunruhigt? Sondern der Kutscher. Wer war das? Sag es mir.«
Bruder Solam mußte schlucken, dann antwortete er: »Der Kutscher war der Tanist.«
Fidelmas Augenbrauen schossen in die Höhe. »Accobrán?«
»Ja, es war wirklich der Tanist Accobrán«, bekräftigte der Mönch noch einmal.
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Mit einer Handbewegung forderte Fidelma Bruder Solam auf fortzufahren.
»Ich fürchtete mich und hatte mich daher verborgen. Was hatte der Fremde wohl nachts draußen zu suchen? Was machte Accobrán auf einem simplen Fuhrwerk, neben dem Fremden? All das ging mir durch den Kopf. Als sie mein Versteck passierten, konnte ich ein paar Fetzen ihrer Unterhaltung aufschnappen, schließlich war die Nacht still und klar. Sie unterhielten sich auf griechisch. Die Fremden scheinen diese Sprache gut zu beherrschen, im Kloster verständigen wir uns auch so mit ihnen.«
»Du sprichst Griechisch?« fragte Fidelma.
»Ich kann Dion Chrysostomos, Hippolytos, Diogenes Läertios, Herodot von Halikarnassus und andere übersetzen«, erwiderte er.
Fidelma unterbrach ihn. »Und was hast du von diesem Gespräch aufgeschnappt?«
»Der Fremde sagte, daß die Dinge unter einem günstigen Stern stünden. Daß sie wie die Tochter von Hyperion und Theia Macht über die Nacht hätte und noch einmal ihren Zauber auf Endymion ausüben würde.«
»Und weißt du auch, was er damit meinte?«
»Ich kenne nur das Griechisch aus den christlichen Texten. Doch er bezog sich wohl auf einen heidnischen Glauben, dem kein guter Christ die Ohren öffnen sollte.«
»Du hast deine Ohren vermutlich nicht verschlossen, oder?«
»Accobrán antwortete, daß, solange Selene die Nacht beherrschte, ihnen noch viel Arbeit bevorstünde, denn bald würde Eos ihr Tun unterbrechen, und das Opfer der Nacht müßte noch davor gebracht werden. Mehr habe ich nicht mitbekommen, weil der Wagen an mir vorbei war und den Hügel aufwärts verschwand, in der gleichen Richtung, die Escrach eingeschlagen hatte.«
»Du weißt, wofür Selene steht, nicht wahr?« erkundigte sich Fidelma.
»Ich weiß, daß sie bei den heidnischen Griechen die Mondgöttin darstellte.«
»So ist es. Selene war die Tochter von Hyperion und Theia, und sie war die Mondgöttin. Eos war ihre Schwester, die Göttin der Morgenröte. Selene verliebte sich in Endymion, den König von Elis, einen Menschen, und da sie nicht mit ansehen wollte, wie er älter und gebrechlicher wurde, verbannte sie ihn in eine Höhle und versenkte ihn in tiefen Schlaf, damit er für immer jung bliebe.«
Bruder Solam schaute sie ehrfürchtig an. »Meine Kenntnisse lassen sich nicht mit deinen vergleichen, Schwester. Aber mir war klar, daß sie in jener Nacht über den Mond sprachen.«
»Wie ging es weiter?« fragte Fidelma. »Was hast du dann gemacht?«
»Ich kehrte ins
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