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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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eine Tomatensuppe mit Reis in der einen Hand und einen Beutel Linsen in der anderen. China hatte einen Einkaufskorb am Arm, der nichts außer einem Brot, einer Packung Spagetti und einem Glas Tomatensoße enthielt.
    »Debs!« Cherokees Lächeln war Begrüßung, aber noch mehr Erleichterung. »Ich brauche eine Verbündete. Sie weigert sich zu essen.«
    »Ist gar nicht wahr.« China sah erschöpft aus, mehr noch als am vergangenen Tag, mit dunklen Schatten unter den Augen. Sie hatte versucht, diese mit Make-up zu kaschieren, aber es war ihr nicht gelungen. »Cooperative«, sagte sie. »Ich dachte, das wäre Naturkost. Aber.« Sie wies mit einer hoffnungslosen Geste auf den Laden.
    Die einzigen frischen Waren in der Cooperative waren allem Anschein nach Eier, Käse, abgepacktes Fleisch und Brot. Alles andere gab es entweder in Dosen oder tiefgekühlt. Enttäuschend für jemanden, der es gewöhnt war, in den Biomärkten Kaliforniens herumzustöbern.
    »Cherokee hat Recht«, erklärte Deborah. »Du musst essen.«
    »Ich geb's auf.« Cherokee begann, wahllos Waren in den Einkaufskorb zu werfen. China schien zu müde, um zu streiten. Minuten später hatten sie alles, was sie brauchten.
    Draußen konnte Cherokee es kaum erwarten, zu hören, was der Tag den St. James' bisher gebracht hatte. Deborah schlug vor, sie sollten zuerst in das Apartment zurückkehren, aber China sagte: »Bloß nicht! Ich muss raus. Gehen wir lieber ein Stück spazieren.«
    Sie gingen zum Hafen hinunter, überquerten die Promenade und schlenderten zum längsten der Piers, der sich in die Havelet-Bucht hinaus bis zu der Halbinsel erstreckte, auf der die Festung Castle Cornet stand, ehemals Wächterin der Stadt.
    An dem Bauwerk vorbei gingen sie bis zum Ende des Piers, wo China schließlich zur Sache kam. »Es ist schlimm, hm?«, sagte sie zu Deborah. »Ich seh's dir am Gesicht an. Also, raus damit.« Trotz ihrer energischen Worte richtete sie den Blick aufs Wasser, das in einer gewaltigen wogenden Masse unter ihnen lag. Nicht sehr weit entfernt erhob sich noch eine Insel - war es Sark? Alderney? Deborah wusste es nicht - wie ein schlafendes Seeungeheuer aus dem Dunst.
    »Was gibt's, Debs?« Cherokee stellte die Einkaufstüten ab und wollte sich bei seiner Schwester einhängen.
    China trat von ihm weg. Sie machte ein Gesicht, als sei sie auf das Schlimmste gefasst. Deborah war stark versucht, die Dinge in ein positives Licht zu rücken, aber es gab nichts Positives, und selbst wenn sie etwas gefunden hätte - sie schuldete den Freunden die Fakten.
    Sie berichtete den Geschwistern deshalb ohne Beschönigung, was sie und Simon bei ihren Gesprächen in Le Reposoir erfahren hatten.
    China erkannte sofort, welche Richtung die Gedanken jedes logisch überlegenden Menschen nehmen mussten, so bald er hörte, dass sie nicht nur viel Zeit mit Guy Brouard allein verbracht hatte, sondern auch noch beobachtet worden war - allem Anschein nach von mehr als einer Person -, wie sie ihm am Morgen vor seiner Ermordung gefolgt war.
    Sie sagte: »Du glaubst, ich hätte was mit ihm gehabt, stimmt's, Deborah? Na prima.« Ihr Ton war eine Mischung aus Feindseligkeit und Verzweiflung.
    »Also, ich -«
    »Klar, wieso auch nicht? Das würde jeder glauben. Ein paar Stunden mit ihm allein, ein paar Tage. Und er war stinkreich. Na klar, wir haben's getrieben wie die Karnickel.«
    Deborah war verblüfft über die derbe Ausdrucksweise. So kannte sie China nicht, sie war immer die Romantischere von ihnen beiden gewesen, jahrelang einem Mann treu, mit Träumen von einer Zukunft in Pastell.
    »Dass er mein Großvater hätte sein können, hat mich überhaupt nicht gestört«, fuhr China fort. »Mann, es ging schließlich um einen Haufen Kohle. Ist doch egal, mit wem man bumst, wenn Geld dabei rausspringt, oder?«
    »Chine!«, protestierte Cherokee. »Hör auf!«
    Noch während ihr Bruder sprach, schien China bewusst zu werden, was sie gesagt hatte. Mehr noch, sie schien blitzartig zu begreifen, wie ihre Worte sich auf Deborahs Leben beziehen ließen, denn sie sagte hastig: »O Gott, Deborah, tut mir Leid.«
    »Ist schon in Ordnung«, sagte Deborah.
    »Ich wollte nicht... ich dachte nicht an dich und... du weißt schon.«
    An mich und Tommy, dachte Deborah. China wollte sagen, dass sie nicht an Tommy und Tommys Geld gedacht hatte. Es hatte nie eine Rolle gespielt, aber es war immer da gewesen, nicht mehr als eines von tausend Dingen, die von außen so verlockend aussahen, wenn man nicht

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