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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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auch.«
    Der Junge, die Kleidung, der Hund. Die Beschreibung passte auf den Jungen, dem sie und Simon auf dem Weg zur Bucht begegnet waren. Deborah fragte: »War er auch auf dem Fest?«
    »Du meinst, am Abend vorher?« Als Deborah nickte, sagte China: »Klar. Alle waren da. Es war das große Ereignis der Saison, so wie es da zugegangen ist.«
    »Wie viele Leute?«
    China überlegte. »Dreihundert? So ungefähr.«
    »Alle in einem Raum?«
    »Nein, nein. Es war kein offenes Haus, aber die Leute sind natürlich den ganzen Abend in Bewegung gewesen. Die Kellner vom Party Service rannten herum. Es gab vier Bars. Es war kein Chaos, aber ich glaube nicht, dass irgendjemand darauf geachtet hat, wer gerade wo war.«
    »Es hätte also leicht jemand den Umhang mitnehmen können«, sagte Deborah.
    »Möglich, ja. Aber als ich ihn brauchte, war er da, Debs. Als Cherokee und ich am nächsten Morgen abreisten.«
    »Ihr seid niemandem begegnet, als ihr gegangen seid?«
    »Keiner Menschenseele.«
    Danach schwiegen sie. China verstaute die Einkäufe im kleinen Kühlschrank und dem einzigen Küchenschrank. Sie suchte nach einem Gefäß für die Blumen und begnügte sich schließlich mit einem Kochtopf. Deborah sah ihr zu und überlegte, wie sie am besten fragte, was sie fragen musste; wie sie die Frage so formulieren konnte, dass die Freundin sie nicht als Zeichen von Argwohn oder Zurückweisung auffassen würde. Sie hatte schon genug Schwierigkeiten.
    »Sag mal«, begann Deborah, »bist du vorher, ich meine, an einem der früheren Tage, mal mit Brouard zum Schwimmen an die Bucht hinuntergegangen? Vielleicht auch nur, um ihm zuzusehen?«
    China schüttelte den Kopf. »Ich wusste, dass er regelmäßig da unten zum Schwimmen ging. Alle haben ihn deswegen bewundert. Um diese Jahreszeit, so früh am Morgen, bei dem eisigen Wasser. Ich glaube, die ehrfürchtige Bewunderung der anderen hat ihm gefallen. Aber ich bin nie mit runtergegangen.«
    »Jemand anders?«
    »Seine Freundin, glaube ich. Es ist darüber geredet worden. So nach dem Motto: Anaïs, können Sie denn diesen Mann nicht zur Vernunft bringen? Und: Ich versuche es jedes Mal, wenn ich mit ihm unten bin.«
    »Dann wäre sie also auch an dem fraglichen Morgen mit ihm gegangen?«
    »Wenn sie über Nacht geblieben wäre. Aber ich weiß nicht, ob sie das getan hat. Solange Cherokee und ich da waren, ist sie nie über Nacht geblieben.«
    »Aber manchmal blieb sie?«
    »Daran hat sie keinen Zweifel gelassen. Ich meine, sie hat mir das klar und deutlich zu verstehen gegeben. Es kann also sein, dass sie nach dem Fest geblieben ist, aber ich glaube es nicht.«
    Dass China nicht versuchte, das Wenige, was sie wusste, so darzustellen, dass vielleicht ein anderer in Verdacht geriet, fand Deborah tröstlich. Es zeugte von einem starken Charakter. Sie sagte: »China, meiner Meinung nach hätte die Polizei in tausend anderen Richtungen ermitteln können.«
    »Meinst du das wirklich?«
    »Ja.«
    China schien ein ungeheure Last von der Seele zu fallen, die sie mit sich herumgeschleppt hatte, seit Deborah sie und ihren Bruder in dem Lebensmittelgeschäft aufgestöbert hatte. »Danke dir, Debs«, sagte sie.
    »Du brauchst mir nicht zu danken.«
    »Doch. Dafür, dass du gekommen bist, dass du meine Freundin bist. Ohne dich und Simon wäre ich hier für alle leichte Beute. Werde ich ihn kennen lernen? Simon, meine ich? Ich fände es schön.«
    »Natürlich wirst du ihn kennen lernen«, antwortete Deborah. »Er freut sich schon auf dich.«
    China kam wieder an den Tisch und ergriff den Schreibblock. Einen Moment lang blickte sie darauf nieder, als überlegte sie etwas, dann hielt sie ihn Deborah hin, so impulsiv wie diese ihr vorher die Blumen gereicht hatte.
    »Gib ihm das«, bat sie. »Sag ihm, er soll es mit der Lupe studieren. Sag ihm, er kann mich jederzeit und sooft er es für nötig hält, nach allen Regeln der Kunst ausquetschen. Sag ihm, er soll die Wahrheit ans Licht bringen.«
    Deborah nahm den Block und versprach, ihn ihrem Mann zu bringen.
    Sie fühlte sich beschwingt, als sie die Wohnung verließ. Draußen, dem Apartmentkomplex gegenüber, stieß sie auf Cherokee, der an einem Geländer vor einem für den Winter geschlossenen Urlaubshotel lehnte. Er hatte den Kragen seiner Jacke zum Schutz gegen die Kälte hochgeklappt und trank irgendetwas Dampfendes aus einem Pappbecher, während er die Queen-Margaret-Apartments beobachtete wie ein verdeckter Ermittler. Als er auf Deborah aufmerksam

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