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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Hexenkünste über die Jahre mehr als einmal spielen lassen.«
    »Bei einem Mann?«
    »Bei meinem Bruder.« Sie drehte den Stuhl vor dem Sekretär herum und ließ sich, eine Hand auf die Sitzfläche gestützt, auf ihm nieder. Mit einer Geste wies sie zu einem Sessel in der Nähe. St. James setzte sich und wartete darauf, dass sie ihm sagen würde, warum sie ihn ein zweites Mal sprechen wollte.
    Sie begann das Gespräch mit der Frage, ob er das in Guernsey geltende Erbrecht kenne und von den gesetzlichen Beschränkungen wisse, denen die Nachlassverteilung hier unterliege. Es sei ein ziemlich archaisches System, das im normannischen Gewohnheitsrecht wurzele. Vor allen Dingen gehe es darum, das Familienvermögen für die Familie zu erhalten, und das bedeute, dass es ausgeschlossen sei, leibliche Kinder zu enterben, ob ungeraten oder nicht. Den leiblichen Kindern stünde immer ein bestimmter Teil des elterlichen Vermögens zu, ohne Rücksicht auf die Natur der Beziehung zu den Eltern.
    »Meinem Bruder hat vieles hier auf den Kanalinseln gefallen«, sagte Ruth Brouard. »Das Wetter, die Atmosphäre, der ausgeprägte Gemeinschaftssinn. Natürlich die Steuergesetze und die Professionalität der Banken. Aber Guy wollte sich nicht vorschreiben lassen, wie er im Fall seines Todes sein Vermögen zu verteilen habe.«
    »Verständlich«, sagte St. James.
    »Deshalb suchte er nach einem Ausweg, nach einer Gesetzeslücke. Und er fand sie, wie jeder, der ihn kannte, vorausgesehen hätte.«
    Vor ihrer gemeinsamen Übersiedelung auf die Insel, erklärte Ruth Brouard, hatte ihr Bruder sein gesamtes Vermögen auf sie übertragen. Er selbst behielt nur ein Bankkonto, mit einer beträchtlichen Summe ausgestattet, die für Kapitalanlagen und ein bequemes Leben gut ausreichen würde. Sein restliches Vermögen - die Immobilien, die Wertpapiere, die Beteiligungen, die anderen Konten, die Firmen - überschrieb er auf seine Schwester. Er knüpfte nur eine Bedingung daran: Dass sie nach der Übersiedelung nach Guernsey ein Testament unterzeichne, das er und ein Anwalt in ihrem Namen aufsetzen würden. Da sie weder Ehemann noch Kinder hatte, konnte sie über den Nachlass verfügen, wie sie wollte, und das erlaubte ihrem Bruder, der ihr das Testament ja diktierte, seine Wünsche doch durchzusetzen, wenn auch auf indirektem Weg. Es war ein schlauer Schachzug, um das Gesetz zu umgehen.
    »Mein Bruder hatte seit Jahren keinerlei Beziehung zu seinen beiden jüngeren Kindern«, erklärte Ruth. »Er konnte nicht einsehen, warum er den Mädchen ein Vermögen hinterlassen sollte, bloß weil er sie gezeugt hatte. Er hatte immer gut für sie gesorgt, bis in ihr Erwachsenenleben hinein, hatte sie auf die besten Schulen geschickt und seine Beziehungen spielen lassen, um die eine in Cambridge unterzubringen und die andere an der Sorbonne.
    Er bekam nicht einmal ein Dankeschön dafür. Er fand, es wäre genug. Er wollte lieber den Menschen in seinem Leben etwas geben, von denen er so vieles bekommen hatte, was seine eigenen Kinder ihm versagt hatten. Treue, meine ich. Freundschaft, Anerkennung - und Liebe. Aber das konnte er nur tun, wenn er alles über mich laufen ließ.«
    »Und sein Sohn?«
    »Adrian?«
    »Wollte Ihr Bruder ihn auch enterben?«
    »Er wollte keines seiner Kinder enterben. Er wollte lediglich den Betrag verringern, den er ihnen von Gesetzes wegen hätte hinterlassen müssen.«
    »Wer hat von dem Manöver gewusst?«, fragte St. James.
    »Meines Wissens nur mein Bruder, Dominic Forrest - das ist der Anwalt - und ich.« Sie griff nach dem braunen Umschlag, aber sie öffnete die Klammern noch nicht. Sie legte ihn nur auf den Schoß und hielt ihn fest, während sie weitersprach. »Ich war damit einverstanden, weil ich Guy seine innere Ruhe wünschte. Er war entsetzlich unglücklich darüber, dass seine geschiedenen Ehefrauen ihm jede halbwegs normale Beziehung zu seinen Kindern verwehrt hatten. Na schön, sagte ich mir, warum nicht? Warum soll ich ihm nicht helfen, den Menschen etwas zurückzugeben, die für ihn da waren, als seine eigenen Kinder nichts von ihm wissen wollten? Verstehen Sie, ich rechnete nicht damit...«
    Sie zögerte und faltete bedächtig die Hände, als überlegte sie, wie viel sie preisgeben sollte. Der Anblick des Umschlags, der auf ihrem Schoß lag, schien ihr Entschlossenheit zu verleihen, denn sie fuhr zu sprechen fort. »Ich rechnete nicht damit, dass ich meinen Bruder überleben würde. Ich dachte, wenn ich ihm über

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