12 - Wer die Wahrheit sucht
berühren, und bat John Steven Mitchell um die gleiche Achtsamkeit. Ob ihm der Ring bekannt sei, fragte sie. Ob er ihnen irgendetwas über ihn sagen könne.
Mitchell griff zu einer Brille, die neben der Registrierkasse lag, und beugte sich über den Ring, den Deborah auf das Glas der Vitrine gelegt hatte. Dann holte er sich noch ein Vergrößerungsglas und studierte die Inschrift auf der Stirn des Totenkopfs.
»Festung im Westen«, murmelte er. »Neununddreißig-vierzig.« Er hielt nachdenklich inne. »Tja, das scheint mir ein Andenken an irgendeine Abwehreinrichtung zu sein. Es könnte sich aber auch auf den Angriff auf Dänemark beziehen - im übertragenen Sinn. Andererseits war der Totenkopf mit den gekreuzten Knochen typisch für die Waffen-SS, als wäre da auch noch diese Verbindung.«
»Aber der Ring stammt nicht aus der hiesigen Besatzungszeit?«, fragte Deborah.
»Er könnte hier zurückgelassen worden sein, als die Deutschen kapitulierten. Aber mit der Besatzung selbst hat er meiner Meinung nach nichts zu tun. Das zeigen die Jahreszahlen. Und der Ausdruck Die Festung im Westen, der hier nichts besagt.«
»Wieso nicht?« Cherokee, dessen Blick auf den Ring gerichtet geblieben war, während Mitchell diesen begutachtet hatte, sah jetzt auf.
»Wegen der Bedeutung des Wortes«, erklärte Mitchell. »Die Deutschen haben hier natürlich alles Mögliche gebaut, Tunnel, Befestigungsanlagen, Geschützstellungen, Beobachtungstürme, Krankenhäuser, sogar eine Eisenbahn. Aber keine Festung. Außerdem beziehen sich die Jahreszahlen auf dem Ring auf ein Ereignis ein Jahr vor Beginn der Besatzung.« Er beugte sich wieder über sein Vergrößerungsglas. »Etwas in dieser Art habe ich noch nie gesehen. Beabsichtigen Sie zu verkaufen?«
Nein, nein, antwortete Deborah. Sie wollten nur herausfinden, woher der Ring kam, da er nach seinem Zustand zu urteilen sicher nicht seit 1945 irgendwo draußen im Freien herumgelegen habe. Und da hatten sie natürlich zuerst an Antiquitätengeschäfte gedacht.
»Ich verstehe«, sagte Mitchell. Nun, wenn sie Auskunft brauchten, sollten sie sich am besten an die Potters wenden, gleich ein paar Häuser weiter. Potter und Potter, Antiquitäten, Jeanne und Mark, Mutter und Sohn, erläuterte er. Sie war Fachfrau für Porzellan, also in diesem Fall wahrscheinlich keine Hilfe. Aber er wisse so ziemlich alles, was es über das deutsche Militär im Zweiten Weltkrieg zu wissen gab.
Wenig später waren Deborah und Cherokee wieder draußen in der Mill Street. Sie stiegen höher, vorbei an einem düsteren Zwischenraum zwischen zwei Häusern, der den Namen Back Lane trug, und stießen gleich danach auf Potter und Potter. Im Gegensatz zu John Steven Mitchells Geschäft schien dieses hier gut zu laufen.
Potter-Mutter war im Laden, wie sie sahen, als sie eintraten. Sie saß in einem Schaukelstuhl, die Füße, die in Hausschuhen steckten, auf einem flauschigen Kniekissen, den Blick auf den Bildschirm eines Fernsehgeräts gerichtet, das nicht größer war als ein Schuhkarton. Sie sah sich einen Film an, in dem gerade Audrey Hepburn und Albert Finney in einem alten MG durch die Gegend kurvten. Das Auto hatte Ähnlichkeit mit Simons Wagen, fand Deborah, und zum ersten Mal seit sie beschlossen hatte, die Polizei links liegen zu lassen und dafür China River aufzusuchen, spürte sie einen kleinen Stich. Es war, als zupfte etwas an einem Fädchen ihres Gewissens, einem Fädchen, das sich aufzudröseln drohte, wenn man zu fest daran zog. Schuldgefühl konnte sie es nicht nennen, sie hatte sich ja nichts vorzuwerfen. Aber es war entschieden etwas Unangenehmes, wie ein übler Geschmack, den sie gern loswerden wollte. Sie fragte sich, woher dieses Gefühl überhaupt kam. Wirklich, wie lästig, gerade mit etwas Wichtigem beschäftigt zu sein und sich ohne jeden vernünftigen Grund von so etwas behelligen lassen zu müssen.
Cherokee hatte die Militaria-Abteilung des Ladens schon gefunden, das Angebot war beträchtlich. Potter und Potter bot so ziemlich alles von der alten Gasmaske bis zum Nazi-Serviettenring an. Es gab sogar ein Flakgeschütz, außerdem einen uralten Filmprojektor und einen Film mit dem Titel Eine gute Sache. Cherokee stand vor einer Vitrine mit Auslagefächern, die eines nach dem anderen, elektrisch angetrieben, auf- und abstiegen, wenn man auf einen Knopf drückte. Hinter dem Glas lagen Orden, Ehren- und Rangabzeichen von deutschen Uniformen. Cherokee sah sich jedes Ablageregal genau an, und
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