Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
bedeutete es schon, dass sie nur die Letzte in einer endlos langen Reihe Frauen war, die er unbedingt haben musste. Was bedeutete es schon, dass er einen Verrat beging, von dem niemand sich erholen würde? Er hat ja immer so getan, als erwiese er, der weltläufige Gentleman, ihnen einen Gefallen. Als erweiterte er ihren Horizont, nähme sie in seine Obhut, errettete sie aus einer unerfreulichen Situation, und wir wissen beide, was für eine Situation das war. In Wirklichkeit hat er sich auf die billigste Art, die es gibt, seine Selbstbestätigung geholt. Du hast es gewusst. Du hast es mit angesehen, und du hast es geschehen lassen. Als wärst du keinem außer dir selbst verantwortlich.«
    Ruth ließ die Hand sinken, die jetzt so heftig zitterte, dass sie sie nicht mehr gebrauchen konnte. Guy hatte unrecht getan, ja. Sie war bereit, das einzuräumen. Aber er hatte es nicht vorsätzlich getan. Er hatte nicht im Voraus geplant... oder auch nur darüber nachgedacht... Nein. Ein solches Monster war er nicht gewesen. Es war einfach geschehen: Plötzlich fiel es Guy wie Schuppen von den Augen und ebenso plötzlich erwachte sein Begehren, und er meinte, unbedingt besitzen zu müssen, denn: Sie ist die Richtige, Ruth. Jede war für Guy »die Richtige«, damit rechtfertigte er sein Handeln. Insofern hatte Margaret Recht. Ruth hatte die Gefahr gesehen.
    »Hast du zugeschaut?«, fragte Margaret sie. Bisher hatte sie hinter Ruth gestanden, und sie im Spiegel angesehen, jetzt aber stellte sie sich so, dass Ruth ihr ins Gesicht blicken musste, und um zu verhindern, dass sie ihr auswich, nahm sie ihr den Lippenstift weg. »War es so? Hast du mitgespielt? Hat sich Guys getreuer kleiner Boswell der Sticknadel, der sich immer so brav zurückgehalten hat, diesmal am Spiel beteiligt? Vielleicht als Voyeurin? Oder als weiblicher Polonius hinter dem Vorhang?«
    »Nein!«, schrie Ruth auf.
    »Ach so, du warst nur eine, die sich immer rausgehalten hat. Ganz gleich, was er getan hat.«
    »Das ist nicht wahr.« Es war zu viel: ihr körperlicher Schmerz, der Schmerz über die Ermordung ihres Bruders und auch noch mit eigenen Augen die Zerstörung von Träumen mit ansehen zu müssen; zu viele miteinander im Konflikt liegende Menschen zu lieben und zu sehen, wie sich bei Guy das Rad unangebrachter Lust immer weiter drehte, ohne dass sich irgendetwas änderte. Nicht einmal am Ende. Nicht einmal nach dem letzten Diesmal ist es wirklich die Richtige, Ruth. Sie war es nicht gewesen, aber er hatte es sich einreden müssen, weil er sonst dem hätte ins Gesicht blicken müssen, der er wirklich war: Ein alter Mann, der immer wieder vergeblich versuchte, einen lebenslangen Schmerz zu heilen, den zu fühlen er sich nie erlaubt hatte. Für solchen Luxus war kein Platz gewesen neben Prends soin de ta petite soeur, diesem Auftrag, den ihr Bruder verinnerlicht hatte wie das Motto eines Familienwappens. Wie hätte sie ihn da zur Rechenschaft ziehen können? Was für Forderungen hätte sie stellen, welche Drohungen hätte sie aussprechen können?
    Keine. Sie hatte nur versuchen können, vernünftig mit ihm zu reden. Als das nicht half, weil es schon in dem Moment zum Scheitern verurteilt war, als er wieder sagte: Sie ist die Richtige, als hätte er das nicht schon Dutzende von Malen gesagt, wusste sie, dass sie einen anderen Weg einschlagen musste, um ihn zu bremsen. Es würde ein ganz neuer Weg sein, unbekannt und beängstigend. Aber sie musste ihn nehmen.
    Margaret hatte also Unrecht, jedenfalls in dieser Hinsicht. Sie hatte nicht wie Polonius gelauert und gelauscht, um sich ihren Verdacht bestätigen zu lassen und gleichzeitig aus zweiter Hand zu genießen, was sie selbst nie gehabt hatte. Sie hatte es gewusst. Sie hatte versucht, mit ihrem Bruder zu reden. Als das nichts genützt hatte, hatte sie gehandelt.
    Und jetzt...? Sah sie sich mit den Folgen ihres Handelns konfrontiert.
    Ruth wusste, dass sie irgendwie Wiedergutmachung leisten musste. Margaret wollte sie glauben machen, die angemessene Form wäre es, Adrians rechtmäßiges Erbe aus dem juristischen Sumpf zu ziehen, den Guy geschaffen hatte, um es ihm vorzuenthalten. Aber Margaret wollte nur die schnelle Lösung eines Problems, das sich jahrelang zusammengebraut hatte. Als wenn, dachte Ruth, Geld Adrian von dem heilen könnte, woran er schon so lange litt.
    Ruth trank den letzten Schluck Kaffee und legte das nötige Geld auf den Tisch. Mit einiger Mühe zog sie ihren Mantel an, machte sich angestrengt

Weitere Kostenlose Bücher