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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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gern mal zehn Minuten Auszeit genommen hätte. Er sagte zögerlich: »Ich weiß nicht, ob ich...«
    »Na, nun kommen Sie schon«, sagte Valerie. »Sie können eine Tasse Tee haben.«
    »Ganz schnell?«
    »Ich hab zwei erwachsene Söhne, Trev. Ich kann Ihnen die Hose schneller flicken, als Sie den Tee trinken können.«
    »Na gut«, sagte er, und zu Paul gewandt: »Und du schau, dass du den Kollegen nicht in die Quere kommst, die haben hier zu tun.«
    Valerie sah Paul an. »Geh inzwischen drüben im großen Haus in die Küche, mein Lieber, und mach dir einen Kakao. Frische Ingwerplätzchen sind auch da.« Sie nickte ihm zu und schlug mit Trev Addison im Schlepptau den Rückweg zum Verwalterhaus ein.
    Paul stand wie angewurzelt da und wartete, bis sie im Haus verschwunden waren. Das Herz klopfte ihm immer noch bis zum Hals, und er drückte seine Stirn an Taboos Rücken. Der feucht muffige Hundgeruch war so wohltuend und vertraut wie die Hand seiner Mutter auf seiner Wange, wenn er als Kind Fieber gehabt hatte.
    Als sein Herz wieder normal schlug, hob er den Kopf und rieb sich das Gesicht. Der Rucksack war ihm bei dem Gerangel mit dem Polizisten von der Schulter gerutscht und lag jetzt etwas abseits auf dem Boden. Paul nahm ihn hoch und rannte im Laufschritt zum großen Haus.
    Er ging hinten herum wie immer. Es war eine Menge los. Paul, der nie zuvor so viele Polizisten auf einmal gesehen hatte - außer im Fernsehen -, blieb hinter dem Wintergarten stehen und versuchte herauszubekommen, was sie taten. Sie suchten, ja. Das war leicht zu erkennen. Aber was? Er konnte es sich nicht vorstellen. Anscheinend hatte am Beerdigungstag, als alle zur Bestattung und zum Empfang danach nach Le Reposoir gekommen waren, irgendjemand was Wertvolles verloren. Aber so einleuchtend das schien, so wenig wahrscheinlich war es, dass deswegen gleich die ganze Polizei von Guernsey anrücken würde, um das Verlorene zu suchen. Da musste es schon einer unheimlich wichtigen Persönlichkeit gehört haben, und die wichtigste Persönlichkeit auf der Insel war tot. Wer sonst...? Paul wusste es nicht und konnte es sich nicht denken. Er ging ins Haus.
    Er betrat es durch die Wintergartentür, die, wie gewöhnlich, nicht abgesperrt war. Taboo trottete hinter ihm her, seine Krallen klapperten auf dem Terrakottaboden des Wintergartens. Hier drinnen war es angenehm warm und feucht, irgendwo tropfte Wasser aus der Bewässerungsanlage. Paul hätte sich gern niedergesetzt und dem rhythmischen einschläfernden Geräusch eine Weile zugehört. Aber das ging nicht, denn man hat ihm gesagt, er solle sich einen Kakao machen. Und er tat immer, was ihm gesagt wurde, besonders wenn er hier in Le Reposoir war. So zeigte er sich des kostbaren Privilegs würdig, in Le Reposoir ein- und ausgehen zu dürfen.
    Er überlegte, ob Miss Ruth wohl zu Hause war. Er hatte nicht daran gedacht, nachzusehen, ob ihr Wagen draußen stand. Nur ihretwegen war er hergekommen. Wenn sie nicht da war, würde er warten.
    Er ging in die Küche: durch den steinernen Gang, den Torbogen und noch einen Gang hinunter. Es war still im Haus, aber leise knarrende Dielen über seinem Kopf verrieten ihm, dass Miss Ruth wahrscheinlich da war. Doch er war wohlerzogen genug, um zu wissen, dass man nicht in fremden Häusern herumschlich, um jemanden zu suchen, auch wenn man eigens gekommen war, um diese Person zu sprechen. Er würde in der Küche bleiben, seinen Kakao trinken und seine Plätzchen essen, und bis er fertig war, würde Valerie wieder da sein und ihn zu Miss Ruth hinaufbringen.
    Paul war oft genug in der Küche von Le Reposoir gewesen, er kannte sich dort gut aus. Er wies Taboo unter den großen Tisch in der Mitte, legte ihm für den Kopf seinen Rucksack hin und ging in die Speisekammer.
    Sie war so spannend wie alles in Le Reposoir, ein Raum voller Gerüche, die er nicht identifizieren konnte, und voller Nahrungsmittel in Dosen und Päckchen, von denen er nie gehört hatte. Er war immer froh, wenn Valerie ihn in die Speisekammer schickte, um ihr etwas zu holen, damit sie beim Kochen am Herd bleiben konnte. Er blieb dann immer so lange wie möglich und genoss die Düfte von Essenzen, Gewürzen, Kräutern und anderen Zutaten. Das versetzte ihn in eine Welt, die mit der ihm bekannten nichts zu tun hatte.
    Auch jetzt blieb er. Nacheinander öffnete er die Fläschchen, die ordentlich in einer Reihe standen, und roch an jedem von ihnen. Vanille, las er auf einem Etikett. Orange, Mandel, Zitrone. Die

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