12 - Wer die Wahrheit sucht
Aromen waren so berauschend, dass ihm leicht schwindelig wurde, als er sie einatmete. Sie trugen ihn in Gegenden, die er nie gesehen hatte, zu Menschen, die er niemals kennen lernen würde.
Von den Essenzen wanderte er weiter zu den Gewürzen, wo er mit dem Zimt begann. Als er zum Ingwer kam, nahm er eine winzige Prise, nicht größer als der Rand seines kleinsten Fingernagels, gab sie auf seine Zunge und fühlte, wie sich in seinem Mund Speichel bildete. Er lächelte und griff zu Muskat, Kreuzkümmel, Curry, Nelken. Danach folgten die Kräutern, dann die Essige und die Öle. Zum Schluss kramte er unter Mehl, Zucker, Reis und Bohnen herum. Er nahm Kartons zur Hand und las, was auf ihnen geschrieben stand, drückte Pastapackungen an seine Wange und rieb mit dem Zellophan über seine Haut. Nie hatte er solche Fülle gesehen wie hier. Es war ein Wunder.
Mit einem Seufzer der Befriedigung suchte er schließlich die Kakaodose heraus, trug sie in die Küche zur Arbeitsplatte und holte Milch aus dem Kühlschrank. Er nahm einen der Töpfe, die über dem Herd hingen, goss vorsichtig genau einen Becher Milch - und nicht mehr ein - und kippte den ebenso vorsichtig in den Topf. Zum ersten Mal durfte er hier in der Küche selbst hantieren, und Valerie Duffy sollte nachher stolz auf ihn sein können.
Er zündete das Gas an und suchte einen Löffel heraus, um den Kakao abzumessen. Die Ingwerplätzchen, frisch aus dem Backofen, lagen noch zum Abkühlen auf dem Rost. Er stibitzte eines für Taboo und gab es ihm. Zwei nahm er für sich und schob eines gleich in den Mund. Das andere wollte er zum Kakao genießen.
Irgendwo im Haus schlug eine Uhr. Gleichzeitig ertönten in einem Korridor über ihm Schritte. Eine Tür wurde geöffnet, ein Lichtschalter betätigt, und jemand kam die Hintertreppe zur Küche herunter.
Paul lächelte. Miss Ruth. Da Valerie nicht im Haus war, musste sie sich ihren Morgenkaffee selbst holen, wenn sie ihn gern jetzt trinken wollte. Er stand dampfend in der Glaskanne bereit. Paul holte einen zweiten Becher aus dem Schrank, einen Löffel und den Zucker und bereitete alles für sie vor. Er stellte sich das bevorstehende Gespräch vor: Wie sie die Augen aufriss vor Überraschung und ihr Mund sich zum O rundete, wie sie sagte: »Paul, du guter Junge«, sobald sie begriff, was er vorhatte.
Er bückte sich und holte den Rucksack unter Taboos Kopf hervor. Der Hund sah hoch und spitzte die Ohren. Aus den Tiefen seines Brustkorbs drang ein leises Knurren. Ein kurzes Kläffen folgte, dann kräftiges Gebell.
»Was um alles...?«, sagte jemand von der Treppe her.
Das war nicht Miss Ruths Stimme. Eine Frau wie ein Wikingerweib kam um die Ecke. Als sie Paul erblickte, rief sie scharf: »Wer, zum Teufel, bist du? Wie bist du reingekommen? Was hast du hier zu suchen? Wo ist Mrs. Duffy?«
Viel zu viele Fragen auf einmal, und er hielt noch das Ingwerplätzchen in der Hand. Paul riss die Augen auf, wie er sich das bei Miss Ruth vorgestellt hatte, so dass die Brauen fast zum Haaransatz hinaufschossen. Im selben Moment stürzte Taboo, zähnefletschend und wie ein Dobermann bellend, unter dem Tisch hervor. Mit weit gespreizten Beinen und angelegten Ohren blieb er stehen. Schimpfende Stimmen konnte er auf den Tod nicht leiden.
Das Wikingerweib fuhr zurück. Taboo folgte ihr, bevor Paul ihn beim Halsband zu fassen bekam. Sie begann zu kreischen. »Nimm ihn weg, nimm ihn weg. Verdammt noch mal, nimm ihn weg«, als glaubte sie im Ernst, der Hund wolle ihr etwas antun.
Bei ihrem Geschrei bellte Taboo nur noch lauter, und genau in diesem Augenblick kochte die Milch auf dem Herd über.
Es war zu viel auf einmal - der Hund, die Frau, die Milch, das Plätzchen in seiner Hand, das wie geklaut aussah, obwohl es nicht so war, denn Valerie hatte ja gesagt, er solle sich von den Plätzchen nehmen.
Schäumend sprudelte die Milch auf den Gasring unter dem Topf. Der Geruch, als sie direkt in die offenen Flammen strömte, stieg auf wie ein Schwarm Vögel. Taboo bellte. Die Frau kreischte. Paul war zur Salzsäule erstarrt.
»Du dummer Kerl!« Die Stimme des Wikingerweibs klang wie Metall auf Metall. »Steh hier nicht rum.« Hinter ihm verbrannte die Milch. Die Frau wich zur Wand zurück, drehte den Kopf, als wollte sie nicht zusehen, wie sie von einem Untier zerfetzt wurde, das in Wirklichkeit größere Angst hatte als sie. Aber anstatt ohnmächtig zu werden oder die Flucht zu wagen, begann sie laut zu brüllen. »Adrian! Adrian! Herrgott
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