12 - Wer die Wahrheit sucht
was Sie wissen wollten, oder gibt's sonst noch was?«
»Wie gesagt, haben Sie eine Idee, warum Brouard nur eine Ihrer Töchter bedacht hat?«
»Nein.«
»Für Ihre beiden anderen Töchter wäre eine höhere Schulbildung doch sicher genauso nützlich.«
»Stimmt.«
»Wie kommt es dann...?«
»Sie hatten nicht das richtige Alter. Sie sind noch zu jung, um ein Studium anzufangen. Alles zu seiner Zeit.«
Diese Bemerkung deckte auf, wie unlogisch Moullins ganze Argumentation war, und St. James hakte sofort nach.
»Aber es konnte doch niemand damit rechnen, dass Guy Brouard sterben würde. Er war zwar mit seinen neunundsechzig Jahren kein junger Mann mehr, aber allen Berichten zufolge war er fit und gesund. Oder stimmt das nicht?« Er wartete nicht auf Moullins Antwort. »Wenn also Guy Brouard Ihrer Tochter mit dem Geld, das er ihr hinterließ, ein Studium finanzieren wollte... Wann hätte sie denn seiner Berechnung nach das Studium aufnehmen sollen? Es hätte doch sein können, dass er erst in zwanzig Jahren stirbt. Oder noch später.«
»Außer wir hätten ihn vorher umgebracht«, sagte Moullin. »Darauf wollen Sie doch raus, oder?«
»Wo ist Ihre Tochter, Mr. Moullin?«
»Jetzt hören Sie aber auf! Sie ist siebzehn Jahre alt.«
»Dann ist sie also hier? Kann ich mit ihr -«
»Sie ist auf Alderney.«
»Und was tut sie da?«
»Sie kümmert sich um ihre Großmutter. Oder versteckt sich vor der Polizei. Nehmen Sie es, wie Sie wollen. Mir ist es egal.« Er wandte sich wieder seiner Arbeit zu, aber St. James sah die pochende Ader an seiner Schläfe, und als Moullin den nächsten Schnitt ins Glas zog, misslang er. Fluchend warf er die unbrauchbaren Stücke in einen Mülleimer.
»Zu viele Fehler kann man sich bei Ihrer Arbeit nicht leisten«, bemerkte St. James. »Das würde wahrscheinlich teuer werden.«
»Tja, Sie sind eben doch eine kleine Störung«, gab Moullin zurück. »Wenn das also alles ist - ich habe eine Menge Arbeit und wenig Zeit.«
»Ich verstehe, warum Guy Brouard diesem Jungen, Paul Fielder, etwas hinterlassen hat«, sagte St. James. »Er hatte den Jungen unter seine Fittiche genommen, im Rahmen eines anerkannten Förderprogramms, das sich GAYT nennt. Haben Sie davon gehört? Die Beziehung zwischen den beiden hatte also eine offizielle Grundlage. Hat er Ihre Tochter auch über dieses Projekt kennen gelernt?«
»Zwischen Cyn und ihm gab's keine Beziehung«, entgegnete Moullin. »Ob über GAYT oder sonst wie.« Und trotz seiner soeben geäußerten Worte von der vielen Arbeit begann er seine Werkzeuge aufzuräumen, und fegte mit einem Besen die winzigen Glassplitter von der Arbeitsplatte. »Er hatte seine Launen, und was anderes war's in Cynthias Fall auch nicht. Heute so und morgen anderes. Ich misch hier ein bisschen mit, und ich misch da ein bisschen mit und tu, was ich will, weil ich reich genug bin, um für ganz Guernsey den Weihnachtsmann zu spielen, wenn mir danach ist. Cyn hatte einfach Glück. Das war wie bei der Reise nach Jerusalem, sie war am richtigen Platz, als die Musik zu spielen aufhörte. An einem anderen Tag hätt's vielleicht eine ihrer Schwestern getroffen. So war das. Er kannte sie besser als die anderen beiden; sie war oft dabei, wenn ich bei den Brouards gearbeitet habe. Oder sie war bei ihrer Tante zu Besuch.«
»Bei ihrer Tante?«
»Val Duffy. Sie ist meine Schwester. Hilft mir ein bisschen bei der Erziehung der Mädchen.«
»Wie?«
»Was soll das heißen, wie?«, fragte Moullin gereizt, und es war klar, dass er am Ende seiner Geduld war. »Junge Mädchen brauchen eine Frau in ihrem Leben. Soll ich Ihnen aufschreiben, warum, oder kommen Sie eventuell selber darauf? Cyn ist oft bei Val, weil sie mit ihr reden kann. Über Frauensachen, verstehen Sie?«
»Körperliche Veränderungen? Jungsprobleme?«
»Keine Ahnung. Ich steck meine Nase nicht in anderer Leute Angelegenheiten. Ich bin nur froh und dankbar, dass Cyn eine Frau hat, mit der sie reden kann, und dass diese Frau meine Schwester ist.«
»Die Ihnen Bescheid gegeben hätte, wenn etwas nicht in Ordnung gewesen wäre.«
»Es war alles in Ordnung.«
»Aber er hatte doch seine Launen.«
»Was?«
»Brouard. Sie sagten, er hätte seine Launen gehabt. War Cynthia vielleicht eine seiner Launen?«
Moullins Gesicht lief rot an. Er trat einen Schritt auf St. James zu. »Verflucht! Ich sollte -« Er hielt inne. Es sah aus, als koste es ihn große Anstrengung. »Wir sprechen hier von einem Mädchen«, sagte er.
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