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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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noch mehr wie ein bleicher Geist wirkte.
    Mit einem raschen Lächeln entschuldigte sie sich für die frühe Störung. »Ich muss etwas tun«, sagte sie. »Ich kann nicht einfach rumsitzen. Das hab ich bisher lang genug getan. Jetzt brauch ich das nicht mehr, und meine Nerven liegen blank. Es muss doch irgendwas geben...« Ihr schien selbst aufzufallen, in was für einem Tempo sie das alles heraussprudelte, denn sie hielt einen Moment inne, ehe sie mit einer kleinen Grimasse sagte: »Entschuldigt. Ich laufe auf ungefähr fünfzig Tassen Kaffee. Ich bin seit drei Uhr wach.«
    »Trinken Sie einen Schluck Orangensaft«, sagte St. James. »Haben Sie schon gefrühstückt?«
    »Ich kann nichts essen«, antwortete sie. »Aber danke, das habe ich gestern nicht gesagt, obwohl ich es sagen wollte. Ohne euch beide... Ich danke euch.« Sie setzte sich auf einen Stuhl am Nebentisch und rutschte mit ihm zu St. James und Deborah herüber. Ihr Blick schweifte über die anderen Gäste im Speisesaal: Männer in korrekten Anzügen mit Handys neben dem Besteck, Aktenköfferchen zu ihren Füßen, aufgeschlagene Zeitungen in den Händen. Die Atmosphäre war so gedämpft wie in einem vornehmen Londoner Klub. Sie sagte leise: »Man kommt sich hier drinnen vor wie in einer Bibliothek.«
    St. James sagte: »Banker. Die haben den Kopf voll mit Zahlen.«
    Deborah sagte: »Total spießig«, und sah China mit einem warmen Lächeln an.
    China nahm das Glas mit Saft, das St. James ihr eingeschenkt hatte. »Ich denke unaufhörlich: Was wäre gewesen, wenn... Ich wollte nicht nach Europa. Wenn ich nur fest geblieben wäre... Wenn ich nur abgelehnt hätte, überhaupt noch mal darüber zu sprechen... Wenn ich nur genug Arbeit gehabt hätte, um nicht weg zu können... Dann wäre er vielleicht auch nicht gereist. Dann wäre das alles nie passiert.«
    »So zu denken, tut nicht gut«, sagte Deborah. »Die Dinge geschehen nun mal. Unsere Aufgabe ist es nicht, sie ungeschehen zu machen, sondern, nach vorn zu schauen und weiterzugehen.« China lächelte. »Ich glaube, das habe ich schon mal gehört.«
    »Du hast mich gut beraten.«
    »Aber besonders gefallen hat's dir damals nicht.«
    »Nein. Es kam mir wahrscheinlich - herzlos - ja, es kam mir wahrscheinlich herzlos vor. So kommt es einem immer vor, wenn man viel lieber möchte, dass die Freunde mit einem zusammen im Selbstmitleid versinken.«
    China rümpfte die Nase. »Sei nicht so streng mit dir.«
    »Du dann aber auch nicht mit dir.«
    »Okay. Abgemacht.«
    Die beiden sahen einander mit liebevollem Blick an. St. James schaute von einer zur anderen und erkannte, dass da eine Verständigung unter Frauen stattfand, die er nicht nachvollziehen konnte. Es endete damit, dass Deborah zu China River sagte: »Du hast mir gefehlt«, und China mit einem leisen Lachen und einer herausfordernden Kopfbewegung zurückgab: »Das wird dir hoffentlich eine Lehre sein.« Womit das Gespräch abgeschlossen war.
    Dieser Austausch erinnerte St. James daran, dass Deborahs Leben aus mehr bestand als den Jahren seiner Bekanntschaft mit ihr. Sie war in sein Leben getreten, als sie sieben Jahre alt gewesen war, und schien ihm seither ein fester Bestandteil seiner Welt zu sein. Zwar war die Erkenntnis, dass auch sie eine eigene Welt hatte, kein Schock für ihn, dennoch fiel es ihm nicht leicht, zu akzeptieren, dass sie eine Fülle von Erfahrungen gemacht hatte, an denen er keinen Anteil gehabt hatte. Dass er Anteil hätte haben können, war ein Gedanke für einen anderen Tag, wenn nicht so viel auf dem Spiel stand.
    Er fragte: »Haben Sie schon mit dem Anwalt gesprochen?«
    China schüttelte den Kopf. »Er ist nicht in der Kanzlei. Er ist sicher während der Vernehmung im Präsidium geblieben. Da er mich nicht angerufen hat...« Sie griff nach dem Toasthalter, als wollte sie sich eine Scheibe nehmen, aber sie schob ihn nur weg. »Ich vermute, es hat bis in die Nacht hinein gedauert. So war es jedenfalls, als sie mit mir gesprochen haben.«
    »Dann werde ich dort den Anfang machen«, sagte St. James zu China. »Und ihr beide... Ich denke, ihr solltet Stephen Abbott besuchen. Er hat ja neulich schon mit dir gesprochen, Liebes«, sagte er zu Deborah gewandt »da wird er sicher bereit sein, sich noch einmal mit dir zu unterhalten.«
    Er ging mit den beiden Frauen nach draußen und um das Hotel herum zum Parkplatz. Dort breiteten sie auf der Kühlerhaube des Escort eine Karte der Insel aus und suchten auf ihr den Weg zum Grand Havre, eine

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