12 - Wer die Wahrheit sucht
an der Bucht.«
Margaret war verwirrt. Ruth hatte berichtet, dass ihr Bruder nicht vom Schwimmen zurückgekommen war, dass ihm unten am Strand jemand aufgelauert und ihn ermordet hatte. Aber Guy war erstickt, das hatte doch mit Mord nichts zu tun. Ja, wenn Adrian gesagt hätte, er sei erstickt worden, aber das waren nicht seine Worte gewesen.
»Erstickt?«, wiederholte Margaret. »Aber Ruth sagte doch, dein Vater sei ermordet worden.« Und einen verrückten Moment lang erwog sie die Möglichkeit, dass ihre ehemalige Schwägerin sie belogen hatte, um sie aus irgendeinem Grund auf die Insel zu locken.
»O ja, es war Mord«, sagte Adrian. »Das, was Dad im Hals steckte, nimmt man normalerweise nicht in den Mund. Auch nicht versehentlich.«
5
»Also, dass ich mal hier landen würde, hätte ich mir nicht träumen lassen.« Cherokee River blieb einen Moment stehen, um das Schild vor Scotland Yard zu betrachten, und ließ den Blick von den metallisch silbernen Lettern zu dem strenge Autorität ausstrahlenden Gebäude mit den uniformierten Wachen wandern.
»Ich weiß nicht, ob es uns weiterhelfen wird«, bekannte Deborah, »aber ich denke, es ist einen Versuch wert.«
Es war kurz vor halb elf, der Regen hatte endlich nachgelassen. Der Schauer, der sie bei ihrem Aufbruch zur amerikanischen Botschaft begleitet hatte, war zum dünnen Dauerregen abgeflaut, vor dem sie sich unter einem von Simons großen schwarzen Schirmen verkrochen.
Sie hatten sich recht hoffnungsvoll auf den Weg gemacht. Trotz der verzweifelten Lage, in der seine Schwester sich befand, hielt Cherokee nach dem Motto, das kriegen wir schon hin, an dieser positiven Einstellung fest, die nach Deborahs Erinnerung den meisten Amerikanern eigen war, die sie in Kalifornien kennen gelernt hatte. Er war ein Bürger der Vereinigten Staaten, der mit einem Anliegen zur Botschaft seines Landes unterwegs war. Er hatte geglaubt, wenn er, als Steuerzahler, in der Botschaft erschien und die Fakten vorlegte, würden augenblicklich die nötigen Anrufe getätigt und Chinas Entlassung durchgesetzt werden.
Anfangs schien es, als wäre Cherokees Glaube an die Macht der Botschaft gerechtfertigt. Nachdem sie sich informiert hatten, an wen sie sich wenden mussten - die Special-Services-Abteilung, die man nicht durch das imposante Tor unter der imposanten Flagge am Grosvenor Square betrat, sondern von der weit bescheideneren Brook Street aus -, nannten sie am Empfang Cherokees Namen, woraufhin ein kurzer Anruf eine erstaunlich und befriedigend prompte Reaktion zeitigte. Nicht einmal Cherokee hatte erwartet, von der Leiterin der Special-Services-Abteilung persönlich empfangen zu werden. Von irgendeinem Untergebenen zu ihr geführt zu werden, das ja, aber nicht gleich hier, am Empfang, von ihr begrüßt zu werden. Aber so geschah es. Konsulin Rachel Friestat, mit energischem Händedruck, der nur beruhigend wirken konnte, führte Deborah und Cherokee ohne Umschweife in ihr Büro, wo sie ihnen Kaffee und Kekse anbot und darauf bestand, dass sie sich an den Heizlüfter setzten, um trocken zu werden.
Rachel Friestat wusste über alles Bescheid. Sie war innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach Chinas Verhaftung von der Polizei von Guernsey angerufen worden. Das entsprach, wie sie erklärte, den Vereinbarungen der Haager Konventionen. Sie hatte sogar mit China selbst gesprochen und sie gefragt, ob jemand von der Botschaft nach Guernsey kommen und sich dort um ihre Belange kümmern solle.
»Sie sagte, das sei nicht nötig«, teilte Rachel Friestat Cherokee und Deborah mit. »Sonst hätten wir sofort jemanden hingeschickt.«
»Aber es ist dringend nötig«, widersprach Cherokee. »Die wollen ihr da drüben mit falschen Beschuldigungen was anhängen. Das weiß sie. Wieso sagte sie dann...?« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und murmelte: »Das verstehe ich überhaupt nicht.«
Rachel Friestat nickte anteilnehmend, doch ihre Miene machte deutlich, dass sie diesen Vorwurf der »falschen Beschuldigungen« schon häufiger gehört hatte. Sie sagte: »Unsere Möglichkeiten sind beschränkt, Mr. River, und Ihre Schwester weiß das. Wir haben uns mit ihrem Anwalt in Verbindung gesetzt, und der hat uns versichert, dass er bei jeder polizeilichen Vernehmung ihrer Schwester anwesend ist. Wir sind bereit, alle Anrufe in die Staaten zu tätigen, die ihre Schwester wünscht. Sie sagte allerdings ausdrücklich, dass im Augenblick niemand angerufen werden soll. Und sollte die amerikanische
Weitere Kostenlose Bücher