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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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erklärte er, weil er ohne sie den Auftrag gar nicht bekommen hätte. Aber er hatte ihn unbedingt haben wollen, hatte das Geld haben wollen, weil er endlich einen Job für sich gefunden hatte, von dem er glaubte, dass er ihn fünfundzwanzig Jahre oder länger machen könnte, ohne die Wände hochzugehen, und weil er eine Anzahlung auf die Grundausrüstung leisten musste. Einen Fischkutter. Ja, genau so war's: China River saß hinter Gittern, weil ihr Bruder, dieses Arschloch, unbedingt einen Fischkutter kaufen wollte.
    »Aber du konntest doch nicht wissen, was passieren würde«, wandte Deborah ein.
    »Nein, aber das macht's auch nicht besser. Ich muss sie da rausholen, Debs.« Und mit einem aufrichtigen Lächeln zu ihr und dann zu St. James: »Danke, dass ihr mir geholfen habt. Das kann ich nie wieder gutmachen.«
    St. James wollte ihm sagen, dass seine Schwester ja noch nicht aus dem Gefängnis heraus war und dass auch eine Freilassung gegen Kaution, sofern sie gewährt wurde, zu diesem Zeitpunkt sehr wahrscheinlich nur ein Aufschub sei. Aber er sagte nur: »Wir werden tun, was wir können.«
    Woraufhin Cherokee antwortete: »Danke. Ihr seid große Klasse.«
    Woraufhin wiederum Deborah sagte: »Wir sind deine Freunde, Cherokee.«
    Cherokee schienen die Gefühle zu übermannen, was sich flüchtig in seinem Gesicht widerspiegelte. Er konnte nur nicken und jene merkwürdige Geste mit der Hand zu machen, die Amerikaner gern gebrauchten, um so ziemlich alles von Dankbarkeit bis zu politischer Zustimmung auszudrücken.
    Aber vielleicht drückte sie bei ihm in diesem Moment etwas ganz anderes aus.
    St. James konnte sich dieses Gedankens nicht erwehren, der ihn eigentlich seit dem Moment verfolgte, als er zur Galerie des Gerichtssaals Nr. 3 hinaufgeblickt und seine Frau und den Amerikaner gesehen hatte: Schulter an Schulter, die Köpfe zusammengesteckt. Irgendwas stimmte nicht mehr auf der Welt. Es war eine gefühlsmäßige Überzeugung, die St. James nicht erklären konnte. Und dieses Gefühl, dass die Zeiten aus den Fugen geraten waren, machte es ihm schwer, sich der Freundschaftserklärung seiner Frau an Cherokee River anzuschließen. Er sagte nichts, und als Deborahs Blick ihn fragte, warum, sandte er keinen antwortenden Blick zurück. Er wusste, dass diese Reaktion zwischen ihnen nichts besser machen würde. Sie war immer noch ärgerlich wegen des Gesprächs im Old Bailey.
    Nach ihrer Ankunft in der Stadt stiegen sie am Ann's Place in einem Hotel ab, das früher einmal ein Regierungsgebäude gewesen war. Danach trennten sie sich: Cherokee und Deborah wollten zum Untersuchungsgefängnis, um zu versuchen, China zu sehen; St. James machte sich auf den Weg zur Polizei, um den Beamten ausfindig zu machen, der die Ermittlungen leitete.
    Ihm war nicht wohl dabei. Er wusste, dass er dort eigentlich nichts zu suchen hatte, und die Vorstellung, sich in ein Ermittlungsverfahren zu drängen, bei dem seine Mitarbeit nicht erwünscht war, behagte ihm nicht. In England gab es wenigstens Fälle, auf die er verweisen konnte, wenn er bei einer Polizeibehörde vorsprach und um Informationen bat. Praktisch überall in England brauchte er nur zu sagen: Sie erinnern sich an die Bowen-Entführung?. Und an diesen Erdrosselungsfall letztes Jahr in Cambridge? St. James hatte bei der Arbeit mit den britischen Polizeibehörden die Erfahrung gemacht, dass die Beamten im Allgemeinen bereit waren, ihre Kenntnisse mit ihm zu teilen, und sich von seinen Bemühungen, Neues herauszufinden, nicht irritieren ließen, wenn er zuvor ausreichend Gelegenheit gehabt hatte, zu erklären, wer er war, und einen gemeinsamen Nenner mit ihnen zu finden. Aber hier lagen die Dinge anders. Um hier die Kooperationsbereitschaft der Polizei zu gewinnen oder wenigstens die wenn auch widerwillige Duldung seines Kontakts mit den Leuten, die das Verbrechen direkt betraf, würden Hinweise auf Kriminalfälle, an denen er mitgearbeitet, oder auf Strafprozesse, bei denen er als Gutachter mitgewirkt hatte, gar nichts nützen. Das hieß, dass er sich, um Zugang zum Kreis der Ermittler zu erhalten, auf sein bescheidenstes Talent verlassen musste: die Gabe, mit anderen Menschen in Beziehung zu treten.
    Auf seinem Weg über den Ann's Place zur Hospital Lane, die ihn zur Polizeidienststelle führte, dachte er über das Wesen menschlicher Beziehungen nach. Vielleicht, sagte er sich, war sein Unvermögen auf diesem Gebiet und seine individuelle Art - immer und ewig der kühle

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