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120, rue de la Gare

120, rue de la Gare

Titel: 120, rue de la Gare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Aufwärtshaken wieder auf. Mein Gegner verlor das Gleichgewicht. Um ein Haar hätten mich seine Füße im Gesicht getroffen. Ich fluchte wie schon lange nicht mehr.
    Ich lief zu Marc. Er kam gerade mühsam auf die Beine und rieb sich das Kinn.
    „Wo ist der Preisboxer?“ knurrte er.
    „Hab zu kräftig zugeschlagen“, antwortete ich. „Die Brüstung ist glitschig. Unser Freund hat Übergewicht bekommen...“
    „Er... Meinen Sie damit...?“ Marc zeigte auf den Fluß, der zehn Meter unter uns dahinrollte.
    „Ja, das meine ich damit“, sagte ich.
    „Großer Gott!“
    „Sparen Sie sich Ihr Mitleid für ein andermal auf. Jetzt gehen wir erst mal in Ihre Redaktion. Ich muß dringend telefonieren und hab keine Lust auf die Amtsschimmel bei den öffentlichen Kabinen. Die wollen den Ausweis sehen, lassen einen Formulare ausfüllen und eine Personenbeschreibung der Großmutter abgeben.“
    „Gute Idee. Ich brauch sowieso was zu trinken. In meinem Büro gibt’s einen Schrank, und in dem Schrank gibt’s Kognak...“
    Unterwegs fragte er:
    „Natürlich wußten sie, was auf uns zukam?“
    „Sagen wir, ich ahnte es.“
    „Und deshalb sollte ich eine Mütze aufsetzen, die so aussah wie Ihre? Mit anderen Worten, ich war Ihr Stuntman?“
    „Genau.“
    „Und Sie haben mich absichtlich vorgehen lassen?“
    „Ja.“
    „Und wenn ich ins Wasser gefallen wäre?“
    „Konnten Sie nicht! Ich war ja in der Nähe, hab auf Ihren Schrei gewartet.“
    „Aber Sie hätten zu spät kommen können! Ich hätte keine Zeit zum Schreien haben können! Sie hätten ausrutschen können! Sie hätten...“
    „Hab ich aber nicht. Außerdem hätte ich dann den Kerl geschnappt. Ich im Wasser und Sie mit dem Gangster... Das hätte nichts genützt. Was hätten Sie ihn fragen sollen? Aber so...“
    „...würde ich jetzt auf Valence zutreiben.“
    „Ich hätte Sie gerächt.“
    „Sie sind wirklich ‘n prima Kumpel!“ rief er lachend. „Na ja, jetzt ist es etwas spät, ihm Fragen zu stellen“, fügte er triumphierend hinzu.
    „Sie haben recht, das war nicht besonders nett von mir“, gab ich zu. „Aber ich hoffe, ich kann das wiedergutmachen.“
    Das Redaktionsbüro im Crépuscule war voller Rauch und Stapeln von Zeitungen. Drei Journalisten spielten schweigend Karten. Sie grüßten Marc Covet, schenkten uns aber keine weitere Beachtung.
    Während mein Freund den Kognak aus dem Schrank holte, stürzte ich zum Telefon und ließ mir die Detektei Lafalaise geben. Dort hob niemand den Hörer ab. Das überraschte mich nicht. Ich schnappte mir das Telefonbuch und rief alle Teilnehmer mit Namen Lafalaise an. Die meisten waren wütend, aus dem Schlaf gerissen worden zu sein, und schickten mich zum Teufel. Schließlich sagte mir Hector Lafalaise, daß er der Onkel des Gesuchten sei. Ich beschwor ihn, mir die Privatnummer seines Neffen zu geben. Nach einigem Zögern ließ er sich erweichen.
    „Trinken Sie, Sie Kameradenschwein“, sagte Covet und gab mir ein Senfglas mit Kognak.
    Das Glas ließ das Herz eines Detektivs höher schlagen. Voller Fingerabdrücke! Ich trank das Zeug. Dann wählte ich die Privatnummer von Gérard Lafalaise. Eine müde Stimme meldete sich. Monsieur Lafalaise sei nicht zu Hause.
    „Es ist aber sehr wichtig!“ brüllte ich. „Wo kann ich ihn erreichen?“
    Nach einigem Hin und Her — meine Stimme klang bald überredend, bald drohend — erhielt ich die gewünschte Auskunft. Der Detektiv sei auf einer surprise-party bei der Comtesse de Gasset. Sogar die Adresse der vornehmen Dame konnte ich aus dem Hausdiener rauskitzeln.
    „Ich brauch Sie schon wieder, Marc“, sagte ich. „Aber diesmal geht’s in die feine Gesellschaft.“
    Wir wagten uns wieder in den Nebel hinaus. Mein Freund erzählte mir einiges über die Comtesse. Eine etwas lose Person, aber völlig unverdächtig.
    Die surprise-party fand in einer schönen Wohnung in der sechsten Etage eines Hauses nahe der Rue Des Brotteaux statt. Ein Dienstmädchen wie aus dem Bilderbuch führte uns in einen parfümgeschwängerten Empfangsraum. Stimmengewirr und Lachen sowie Jazzmusik drangen zu uns.
    Eine Tür öffnete sich, und Gérard Lafalaise trat auf mich zu. In seinem Gesicht stand Überraschung.
    „Na ja“, rief er und reichte mir die Hand, „eine surprise-party ist eben eine surprise-party ! Also, mit Ihrem Besuch hätte ich wirklich nicht gerechnet!“
    „Unser Beruf ist voller Überraschungen“, sagte ich. „Vor allem der heutige Abend ist eine endlose

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