Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
120, rue de la Gare

120, rue de la Gare

Titel: 120, rue de la Gare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
Vom Netzwerk:
Mietquittung, vier Hundertfrancsscheine und...
    „Vielleicht war es gar nicht so falsch, daß ich Ihren Lafalaise habe überwachen lassen“, flüsterte Bernier. „Sehen Sie mal, wo der Mann gearbeitet hat.“
    Er reichte mir Carhaix’ Visitenkarte.
    „Kein Wunder, daß er so gut informiert war“, bemerkte ich.
    „Vor allem, wenn die Tips von seinem Chef kamen
    „Würde mich überraschen“, sagte ich kopfschüttelnd.
    Der Kommissar zuckte die Achseln und lachte.
    „Na ja, egal. In letzter Zeit hatte Lyon einen ziemlichen Verschleiß an Privatdetektiven. An Ihrer Stelle wär ich vorsichtig.“
    „Aber ich bin doch vorsichtig“, gab ich zurück. „Und dank meiner Vorsicht liegt Paul Carhaix hier vor uns.“
    Bernier notierte sich die Adresse, die auf der Mietquittung stand, und legte die Brieftasche zurück.
    „Dann wollen wir uns mal seine Wohnung ansehen“, sagte er. „Einer der Schlüssel wird uns die Tür öffnen. Wenn Ihnen der Sinn danach steht...“
    Mir stand der Sinn zwar nicht nach einer zweiten Hausdurchsuchung derselben Wohnung, aber wenn ich die Einladung ausgeschlagen hätte, wär Bernier mißtrauisch geworden. Ich klemmte mich in den Dienstwagen zwischen zwei Inspektoren, und dann fuhren wir los.

    * * *

    Mir lief ein leichter Schauer über den Rücken, als ein Inspektor den Schlüssel ins Schloß steckte. Würde er merken, daß Marc Covet daran rumgefummelt hatte? Aber mein Freund hatte saubere Arbeit geleistet. Der Flic merkte nichts.
    Die Wohnung von Paul Carhaix befand sich in dem Zustand, in dem wir sie zurückgelassen hatten. Ich tat so, als würde ich mich brennend für die Durchsuchung interessieren. Da nichts Aufregendes gefunden wurde, verlor Bernier so langsam seine gute Laune. Da fiel ihm plötzlich etwas auf, was meiner Aufmerksamkeit entgangen war.
    „Der Kerl war Schwarzhändler!“ dröhnte er.
    Er hatte den Koffer aus dem Kleiderschrank gehoben und breitete eine beeindruckende Sammlung von Handschuhen auf dem Boden aus.
    „Winterhandschuhe, Sommerhandschuhe“, brummte er. „Handschuhe für jede Jahreszeit. Das gibt zu denken.“
    „Zweifellos ein vorsichtiger Mensch“, stellte ich fest. „Haben Sie gesehen, wie wenig er in der Brieftasche hatte? Nur das Notwendigste, kein überflüssiges Dokument...“
    „...und kein gefährliches“, stimmte Bernier mir zu.
    „Genau wie seine Wohnung“, philosophierte ich weiter. „Sauber und ordentlich, der Beweis für Ordnung und Vorsicht.“
    „Hm... Aber auch der Vorsichtigste vergißt mal ‘ne Kleinigkeit, die ihn aufs Schafott bringt.“
    „Oh!“ rief ich entrüstet. „Sie werden doch wohl keine Leiche hinrichten lassen?“
    „War nur bildlich gesprochen.“
    In diesem Augenblick rief der Flic, der sich die Küche vorgenommen hatte, den Kommissar. Wie um Berniers These über die Vergeßlichkeit auch des vorsichtigsten Gangsters zu bestätigen! Ganz vorsichtig hielt der Flic uns den Revolver entgegen, den er soeben in dem alten Schuh gefunden hatte.
    „Sehen Sie?“ trompetete der Kommissar. „Was hab ich Ihnen gesagt?“
    Ohne die Waffe in die Hand zu nehmen, verschlang Bernier sie mit den Augen und roch sogar an ihr. Sah aus wie ein Hund, der unentschlossen an einem nicht ganz koscheren Knochen schnuppert. Er sagte nichts, machte nur eine beredte Geste. Sein Gesicht war dunkelrot. Die Waffe schien ihn im höchsten Maße zu erregen.
    „Das ist ein ausländisches Fabrikat“, dozierte er schließlich. „Eine Automatic mit Schalldämpfer. Kaliber 32, nach dem Aussehen zu urteilen.“
    „Fällt Ihnen dabei was ein?“ fragte ich.
    „Dasselbe wie Ihnen.“
    Ich beteuerte, daß ich nicht die geringste Idee hätte. Verteidigte mich wie der Teufel. Aber es hörte mir schon keiner mehr zu. Der Kommissar hatte sich endlich entschlossen, das Ding in die Hand zu nehmen und es — vorsichtig! — in ein Taschentuch zu wickeln. Jetzt wühlten alle wieder fieberhaft nach einem neuen Indiz. Es brannte mir auf der Zunge, ihnen zu verraten, daß sie nichts mehr finden würden. Stattdessen wartete ich geduldig, bis sie sich selbst davon überzeugt hatten. Die einzige interessante Fundsache blieb die Automatic.
    Wir gingen zurück zum Auto. Kommissar Bernier streckte mir die Hand hin und gab mir auf diese Weise deutlich zu verstehen, daß er mich lange genug gesehen hatte. Was er zu mir sagte, bestärkte meinen Eindruck.
    „Ich danke Ihnen“, begann er, „daß Sie so nett waren, Ihren... äh... Ihr Opfer zu identifizieren,

Weitere Kostenlose Bücher