120 - Sterben in Berlin
ihn auch fast drei Wochen Wildnis nicht davon heilen können. »Sergant Dietaa und Sergant Ulf werden euch gleich in die Badesäle begleiten.« Er deutete eine Verbeugung an und verließ den Raum gemeinsam mit seinem Hauptwebel.
»Wir sollen sie also nicht aus den Augen lassen?«, sagte Hauptwebel Bodoo, während er neben seinem Chef den Gang hinunter stiefelte.
»Richtig.«
»Uns sie sollen sich trotzdem nicht wie Gefangene vorkommen?«
»Richtig.«
»Gar nicht so einfach bei diesem arroganten Schnösel.«
»Richtig. Ihr müsst es aber nicht übertreiben mit der Gastfreundschaft. Und ich will über jedes ihrer Worte und jeden ihrer Schritte informiert werden.«
»Richtig«, bestätigte diesmal der Hauptwebel und verschwand im Dienstraum der Palastgarde. Zwei der vier Wächter rechts und links des Portals schlossen sich Bulldogg an. Ein gewisser Sergant Maakus und ein gewisser Soldat Wulfgang – persönliche Freunde von Bulldogg und seine Leibwächter.
Sie liefen über die langen Zimmerfluchten bis in den Südflügel des Palastes, plauderten über Osgaard und die Neuigkeiten, die er im langen Gespräch mit der Königin über den Kampf mit den Räubern und seine Flucht preisgegeben hatte, sie brachten einander auf den aktuellsten Nachrichtenstand, was ihre Familien betraf, und schauten in den einen oder anderen Raum hinein, um zu sehen, wie weit die Renovierungsarbeiten darin vorangeschritten waren.
Im Südflügel angekommen, betraten sie den Empfangsaal der Königin und stiegen die breite geschwungene Treppe zur Galerie hinauf. Die kleine Tochter der Königin wartete bereits.
Während Maakus und Wulfgang sich in eine Ecke zurückzogen und um halbe Liter Bier würfelten, setzte Bulldogg die Kleine auf die Schaukel. Er stieß sie an und begann die Story von seinem Schiffbruch vor der Küste des Nordmeeres zu erzählen.
Eine Geschichte übrigens, die er auch sonst ganz gern zum Besten gab – Maakus und Wulfgang kannten sie in- und auswendig – und die er besonders für die kurze Ann gern mit ein paar Seeungeheuern, turmhohen Wellen und Heerscharen von Strandräubern ausschmückte. Also erzählte er, wie er zehn Nächte lang schwimmen und sich gegen besagte Ungeheuer und Wellen behaupten musste, bis er endlich den Strand erreichte, wo der Sand so fein wie Seide war – auf diesen Satz legte die Kleine besonders viel Wert – und er die besagten Strandräuber verdrosch und in die Flucht schlug, und wie er dort oben im Norden ein paar Wochen später einem Bauern seine stumme Frau Leena abkaufte und dafür mit seinem alten Frekkeuscher bezahlte.
Vor der Balustrade lag der schwarze Doyzdogger Canada, mit dem Bulldogg eine Silbe seines Namens gemeinsam hatte – und vielleicht noch das dicke Fell. Später kam die Königin die Treppe hoch gestiegen, setzte sich neben den Hund und hörte zu. Ihre Tochter, längst in Trance, schwang zwischen Decken und Bulddogs riesigen Händen hin und her und weilte in der Welt, die der Oberst in den schillerndsten Farben zu schildern wusste.
Wenn Bulldogg es irgendwie einrichten konnte, spielte er immer, bevor er nach Hause ging, eine halbe Stunde mit der Tochter der Königin; oder erzählte ihr eine Geschichte; oder, wie heute, beides. Sie tat ihm Leid, weil sie keinen Vater hatte, jedenfalls keinen, der in der Nähe war und mit ihr spielte und Geschichten erzählte. Die Story von seinem letzten Schiffbruch und dem anschließenden Frauenkauf erzählte er sicher zum zehnten Mal. Die Kleine hörte sie besonders gern, und weil sie heute einen schlechten Tag hatte – zweimal hatte sie grundlos geweint – wollte er ihr eine Freude machen.
Später, auf dem Weg zurück in die Mannschaftsräume, kam der Hauptwebel Bodoo ihm entgegen. »Er hat Besuch gekriegt.«
»Osgaard? Besuch? Von wem?«
Bodoo nickte. »Johaans Frau. Sie kam gleich nachdem er aus dem Bad zurück war.«
***
Pottsdam, Anfang Juli 2520
Auf dem zentralen Platz von Pottsdam, vor der Fürstenburg, hatten sie ein Podest errichtet. Bolle Karajan verfolgte das Spektakel vom Balkon seiner Burg aus. Neben ihm saß Siimn im Rollstuhl. Hinter den beiden ersten Männern von Pottsdam standen der Hundemeister Rudgaar mit zwei Doyzdoggern, vier Hauptmänner des Stammesfürsten und seine Leibgardisten.
Die Gefangenen hockten schon seit Sonnenaufgang dort unten im Staub und harrten ihres Schicksals. Nachdem Bolle Karajan sich gegen Abend endlich aus seinem Lager bequemt hatte – der Feldzug hatte ihn ungewöhnlich viel
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