120 - Sterben in Berlin
belehrenden Tonfall, der Jenny hin und wieder nervte. »Ihr Körper ist nun mal von der Natur nicht mit gleicher Widerstandskraft gesegnet wie der unsere. Von ihrem Geist ganz zu schweigen…«
»Zügle dich, Gertruud«, blaffte Jenny. »Du weißt, was ich von solchem Gerede halte…«
»Vielleicht vergiftet sie ihn«, zischte Miouu.
»Unverschämtheit!« Gertruud stemmte die Fäuste in die Hüften. »Seit wann ist es der Königlichen Leibwächterin erlaubt, in die Beratung der Königin einzugreifen?«
Gertrauds Gesicht färbte sich rot. Ob wegen Miouus Bemerkung oder wegen ihrer Zurechtweisung, vermochte Jenny nicht zu entscheiden. Sie hob die Rechte. »Es ist gut jetzt! Ich will mich zurückziehen.«
Gertruud verneigte den Kopf. Lucida stand auf, verbeugte sich und klemmte die Tasche unter den Arm. Gemeinsam verließen die beiden Frauen den königlichen Empfangssaal.
»Vorlaute Göre!«, schimpfte Gertruud auf dem Weg zum Palastausgang. »Möge Orguudoo sie verschlingen!«
»Naura hat mir eine Nachricht für dich übergeben.« Lucida reichte ihr einen Zettel.
Getruud entfaltete ihn und las: Ein Abgesandter aus Pottsdam erwartet dich nach Sonnenuntergang in Olaafs Haus.
Er hat eine wichtige Nachricht von Siimn.
Die grimmigen Gesichtszüge der Zweiten Königlichen Beraterin glätteten sich, sie nickte zufrieden. Siimns Mätresse machte ihre Sache gut: Die Nachrichtenübermittlung funktionierte bestens, und Johaan, dieser geile Bock, schien ihr hörig zu sein. Gertruud lächelte in sich hinein, während sie den Zettel zusammenknüllte und ihn in der Tasche ihrer Robe verschwinden ließ. Die beiden Frauen traten auf die Vortreppe des Palastes. Die Wachen grüßten.
Auf der Straße trennten sich ihre Wege. »Ich werde heute Abend im Haus deines Vaters zu Gast sein«, sagte Gertruud zum Abschied. »Sollte deine Mutter fragen, womit sie mir eine Freude machen könnte, erinnere sie daran, wie gut mir bei meinem letzten Besuch die Schwarzwurst und das Weizenbier geschmeckt haben.«
Lucida verneigte sich, und in entgegengesetzten Richtungen liefen beide auf der Hauptstraße zu ihren Häusern.
Zu Hause ruhte Gertruud ein wenig, zog sich dann um und machte Toilette. Natürlich kannte sie die drei Männer, die Siimn mit Botschaften an sie zu betrauen pflegte. Einer von ihnen war attraktiv genug, selbst in ihr Frühlingsgefühle zu wecken. Sie frisierte sich ausgiebig. Nach Einbruch der Dämmerung machte sie sich auf den Weg zu Olaafs Haus. Es lag direkt an der nördlichen Stadtmauer.
Olaaf selbst öffnete ihr. Gertruud fiel zwar auf, dass er bei der Begrüßung ihren Blick nicht erwiderte und dass seine Hand sich feucht anfühlte, doch sie maß diesen eher flüchtigen Eindrücken keine Bedeutung zu. Erst als der Lauscher sie durch die große Küche des Hauses führte, beschlich sie ein bedrückendes Gefühl, denn kein Mensch hielt sich in dem Raum auf.
Gertruud kam etwa alle zwei Monate in Olaafs Haus, wusste also, dass, wie in den meisten anderen Beelinner Haushalten, auch unter Olaafs Dach das Familienleben in der Küche stattfand. Hier fand man die Kleinen beim Spiel, die Großmütter und Großväter in den Schaukelstühlen vor den Kaminen, die Hunde und Kleinkatzen unter den Tischen, die Hausmenen beim Kochen und Putzen und die Hausherrinnen inmitten ihrer Kinder und Enkelkinder.
Heute aber war die Küche menschenleer, nicht mal ein Haustier entdeckte Gertruud. Sie fragte sich, ob jemand gestorben war. »Wo ist deine Familie, Olaaf?«, wollte sie wissen.
»Im Wald.« Endlich sah er sie an, bemühte sich sogar um eine Art Lächeln. »Ist doch Blaubeerzeit.« Dann drehte er sich um und deutete auf eine Tür, die in die Waschküche führte, wenn Gertrud sich recht erinnerte. »Er wartet da drin auf dich.«
»Wer?«
»Siimns Bote.«
Gertruuds Blick wanderte zweimal zwischen der Türklinke und Olaaf hin und her. Schmal waren ihre Augen plötzlich und ihr Mund ein bleicher Strich. Sollte Lucida tatsächlich versäumt haben, ihre Wünsche zu übermitteln?
Selbstüberschätzung und Neugier siegten schließlich über ihren Fluchtimpuls. Mit raschen Schritten lief sie zur Tür und stieß sie auf. Neben einem Holzzuber voller Wäsche und neben der Tür zum Garten saß ein Mann mit langen blonden Haaren auf einem Hocker. Er fixierte sie feindselig.
»Was soll das?«, zischte Gertruud. »Was habe ich mit dir zu schaffen, Osgaard von Braandburg?«
Ein Stoß in den Rücken ließ sie in den Raum hinein stolpern. Sie
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