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120 - Sterben in Berlin

120 - Sterben in Berlin

Titel: 120 - Sterben in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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bitte die letzten Schritte!«
    Anniemouse hört auf zu schreien und zu strampeln, schließlich kann Miouu nichts dafür, dass sie baden muss. Sie quengelt aber leise vor sich hin. Wenn Dad da wäre – er würde sie nicht zum Baden zwingen…
    Und dann stehen sie vor der Tür in die Baderäume. Die Tür ist schwarz und hat zwei Flügel. »Böse Tür«, flüstert Anniemouse. Die Männer stecken Fackeln in die Wand rechts und links neben der bösen Tür. Daran entzünden sie neue Fackeln.
    »Böse Tür!«, schreit Anniemouse. Die Männer schließen die Tür auf. Fackelschein fällt in einen Raum mit Wänden aus hellen, glatten, viereckigen Steinen.
    »Bitte, Schätzchen…!« Jennymom macht ein Gesicht, als hätte sie Zahnschmerzen. »Gib endlich Ruhe!«
    Zwei Männer bleiben neben der Tür stehen. »Wache halten«, sagt Bullo dazu. Die anderen gehen Anniemouse, Miouu, Canada und Jennymom voran: durch einen Raum mit Liegestühlen, durch einen weiteren Raum mit Bänken und Schränken, und durch das erste, das große Bad. Das Wasser im Becken ist grün, fast wie das Wasser mancher Seen im Wald vor der Siedlung. Es riecht schlecht hier, als hätten sie hier einen Wakuda geschlachtet. Anniemouse ekelt sich.
    »Böses Bad! Böse Tür! Böses Becken!« Sie klammert sich an Miouus Hals fest. »Will nicht baden! Will schlafen!« Das Wasser kommt ihr plötzlich rot vor.
    »Bist du krank?«, fragt Miouu.
    »Dass du mal freiwillig ins Bett willst…«, seufzt Jennymom.
    Die Männer verteilen Fackeln im Badesaal. Einen kennt Ann nicht. Er ist neu in Bullos Palastwache.
    Anniemouse ist wütend. Miouu trägt sie in das zweite, viel kleinere Bad. Fackelschein spiegelt sich im Wasser eines runden, in den Boden eingelassenen Bottichs. Anns Herz klopft sehr, ihr Hals ist wie zugeschnürt, nicht einmal schreien kann sie noch. Sie hat Angst. Die Männer stecken auch hier Fackeln in die Wandhalterungen. Danach gehen sie hinaus. Nur Miouu darf zusehen, wenn Jennymom und Anniemouse baden. Aber Ann will nicht baden, sie will nur noch weg hier, ganz schnell weg.
    »Was ist nur mit dir los, Schätzchen?«, sagt Jennymom, nimmt sie aus Miouus Armen, stellt sie auf den Boden und drückt sie an sich. »Ich versteh das gar nicht. Du badest doch sonst so gern. Was ist mit dir?« Sie beginnt Anniemouse auszuziehen.
    »Weiß… weiß… weiß nicht«, schluchzt Anniemouse.
    Canada macht Wuff! und leckt ihr mit seiner warmen nassen Zunge über die Wange…
    ***
    War es eine Wisaau, die da lautlos durch das Unterholz huschte? Nein, keine Wisaau. Schwarz war es, leise und flink, aber keine Wisaau. Und manchmal richtete es sich auf zwei Beinen auf, und lauschte und spähte in die Dunkelheit. Der Fluss gurgelte wenige Schritte entfernt.
    War es ein Fischotta, der reglos am Ufer der Spree verharrte, wieder lauschte, wieder spähte und schließlich bäuchlings ins seichte Uferwasser glitt? Nein, kein Fischotta.
    Groß wie ein Mensch war es, lautlos und geschmeidig.
    War es ein Fisch, was da unter der Wasseroberfläche der Spree so schnell dahin glitt wie der Schatten eines Vogels im Mittagslicht? Ein Weels vielleicht? Viel zu groß selbst für einen Weels, vier Glieder zu viel für einen Weels. Oder ein Kwötschi, der mit allen Vieren ruderte, in den Abwasserkanal tauchte und dem Palast der Königin entgegen schwamm?
    Nein, kein Fisch und kein Kwötschi. Es war der Tod.
    Und wie hieß der Tod?
    Der Tod in Beelinn hatte viele Namen…
    ***
    Endlich lachte sie wieder. Sie spritzte ihrer Mutter Wasser ins Gesicht, kreischte, als die Königin zurück spritzte und lachte.
    So waren sie eben, die Kurzen: Eben noch ging die Welt unter, und mit dem übernächsten Atemzug war alles wieder golden Sonnenschein. Miouu lehnte gegen die Wand neben der Tür und lächelte. Wie nannte die Königin das? »Trotzphase«?
    Das Mädchen bespritzte den Hund, bis er aufstand, sich schüttelte und zur Wand trottete, wo er sich möglichst weit vom Becken entfernt wieder nieder ließ. Die Kleine kreischte vor Vergnügen. Königin Jenny drückte sie an ihre Brüste und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. Mit einem Schwamm rieb sie ihr Rücken und Hintern ab. Wie schön, eine Mutter zu haben, wie schön, eine Mutter zu spüren…
    Das Lächeln erstarb auf Miouus Zügen. Das schöne Bild der nackten Mutter und des nackten Kindes im Badebecken machte sie traurig. Sie wandte sich ab, schlenderte an den gekachelten Wänden entlang, versank in Gedanken, in die sie lieber nicht versinken

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