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120 - Sterben in Berlin

120 - Sterben in Berlin

Titel: 120 - Sterben in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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sie sprach.
    »Ja, Meisterstück. Ich will, dass die Königin stirbt. Du wirst das organisieren.« Naura machte sich von ihm los. »Ich vertraue dir. Setz dich und schreibe.«
    Nackt wie sie war, schob sie ihn zum Küchentisch, drückte ihn auf einen Stuhl, und ehe Meister Johaan sich versah, stand ein Tintenfass mit einer Feder und lag ein Bogen Papier vor ihm.
    »Schreibe«, sagte Naura. »Vertrau mir und schreibe einfach, was ich dir sage…«
    ***
    Ein Fluss, ein Waldhang, eine Lichtung, ein felsiger Hügel, eine Höhle.
    Und im gleichen Fluss, aber zwei Tageswanderungen entfernt, hing eine zerfetzte Frauenleiche in Schlamm und Schlingpflanzen am Grund des Flussbetts.
    Sie wussten es nicht, und sie wussten es doch.
    Bei Sonnenuntergang waren sie noch zu fünft. Einst waren sie neun gewesen. Neun schwarze Wildkatzen und ihre Mutter und ihre Schwester. Ihre Schwester war nicht ihre Schwester.
    Doch sie saugte dieselbe Milch an den gleichen Zitzen. Die Schwester ging auf zwei Beinen und hatte helle nackte Haut statt schwarzes Fell. Die Schwester nannte sich nach dem ersten Laut, den die Mutter ausstieß, als sie sich auf die Seite fallen ließ, um auch dem weißhäutigen kleinen Wesen ihre Zitzen anzubieten. Statt das kleine weißhäutige Wesen zu fressen, machte die Mutter Miouuu, und dann trank die Schwester zum ersten Mal.
    Lange war das her, fünfzehn oder sechzehn Winter.
    Dann ging die Schwester weg. Auf zwei Beinen verließ sie an jenem Morgen die Höhle, ging hinunter zum Fluss, schwamm hinüber und lief in den Wald. Damals waren sie noch zu acht, denn einer von ihnen hatte schon sein Leben an die rätselhafte Kraft verloren, die sie mit ihrer weißhäutigen, zweibeinigen Schwester verband. Eine dunkle Kraft, die ihre Schwester aus dem Tod zu reißen vermochte – und einem von ihnen dafür das Leben nahm. Unheimlicher, tödlicher Austausch. Ein Fluch über ihrer schrumpfenden Schar, ein Segen über ihrer menschlichen Schwester.
    Manchmal kam sie zurück, für einen Tag oder zwei. Schlief dann in der Höhle bei ihnen, spielte und jagte mit ihnen.
    Meistens dann, wenn sie gestorben und durch die Lebenskraft eines der Ihren wieder auferstanden war. So fand sie beim ersten Besuch nur noch sieben von ihnen, beim zweiten nur noch sechs…
    Und gestern, bei Sonnenuntergang waren sie noch zu fünft gewesen. Als an diesem Morgen die Sonne aufging, pirschten sie durchs Unterholz, schlichen auf lautlosen Pfoten durch das Schilf und scharten sich zu viert um ihren sterbenden Bruder.
    Er zuckte und zitterte im seichten Uferwasser. Miouuu, machte er, Miouuu, streckte die Glieder von sich, und schnurrte den letzten Hauch seiner Lebenskraft aus.
    Und im gleichen Fluss, aber zwei Tageswanderungen entfernt, trieb ein Frauenkörper aus Schlamm und Schlingpflanzen an die Wasseroberfläche.
    Sie wussten es nicht, und sie wussten es doch.
    ***
    Beelinn, Mitte August 2520
    »Sergant Deenis und sein Suchtrupp sind zurück.« Johaan schloss die Tür hinter sich.
    »Lass mich raten.« Naura lächelte voller Genugtuung. »Sie haben die Suche nach Rotaa aufgegeben.«
    Johaan nickte. »Bist du so weit?«
    »Selbstverständlich.« Naura hatte ihr bestes Kleid angelegt.
    Das tat sie immer, wenn sie Meister Johaan in den Palast begleitete. Und heute stand ihr womöglich ein feierlicher Augenblick bevor: Noch an diesem Tag wollte Königin Jenny über die Nachfolge ihrer verschwundenen Zweiten Königlichen Beraterin entscheiden.
    »Wie stehen die Vorbereitungen?«, fragte sie, während sie sich den Stirnreif über das Haar stülpte.
    »Osgaard ist einverstanden. Dafür fordert er einen Posten in der neuen Regierung. Seine Männer warten auf meinen Befehl. Er selbst wird das Schwert nicht gegen die Königin erheben. Falls der Anschlag misslingt, will er nichts davon gewusst haben…«
    »Dieser Feigling! Sorg dafür, dass ich ihn treffen kann! Was ist mit der Palastgarde?«
    »Unmöglich, mit dem Oberst ins Gespräch zu kommen. Seit Miouus Tod wacht er noch misstrauischer über die Königin. Er ist treu wie ein Hund…«
    »Wie ein dummer, fetter Hund!« Naura stieg in ihre Stiefel.
    »… seinen Hauptsergant Maakus gewinnen zu wollen, ist nicht ratsam – er würde seinen alten Freund Bulldogg sofort einweihen. Der Sergant war nicht einmal bereit, dich zu besuchen. Dafür habe ich den Hauptwebel Bodoo kaufen können und seine Serganten Dietaa und Ulf. Ein paar Tage, nachdem sie bei dir im Haus waren, haben sie zugesagt. Sie stehen auf

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