Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
120 - Sterben in Berlin

120 - Sterben in Berlin

Titel: 120 - Sterben in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
Vom Netzwerk:
haben, sie muss klug sein und die Schriftkunst beherrschen«, fuhr Königin Jenny endlich fort. »Könnt Ihr mir eine solche Frau nennen, Meister?«
    »Ich denke, meine Gattin Naura wäre eine geeignete Beraterin.«
    Bulldogg sah Lucida erbleichen. Ihre Schultern sanken, ihr Gesicht wurde lang, ihre Augen groß. Doch auch ihm selbst verschlug es die Sprache.
    »Naura ist viel in der Welt herum gekommen«,fuhr Johaan ungerührt fort. »Man hat sie in einer Königssiedlung jenseits der Oda erzogen. Sie hat das Ostmeer gesehen und ist über das Nordmeer gefahren. In einem fernen Land namens Britana hat sie den Fürsten einer Inselsiedlung beraten. Sie kann schreiben und lesen, und sie spricht die Sprache der Ostler, der Britaner und ein paar Dialekte der Wandernden Völker.« Johaan deutete eine Verneigung an. »Sie, meine Königin, empfehle ich euch als Gertruuds Nachfolgerin.«
    Bulldogg platzte der Kragen. »Miserable Idee!« Gegen jede Etikette ergriff er das Wort. »Dann könnt ihr euch gleich einen Taratzenkönig in den Palast holen, meine Königin! Das Weib ist… ich weiß nicht was… ich traue ihr nicht über den Weg!«
    »Nicht jeder durchschaut ihren Wert sofort«, sagte Johaan mit tadelndem Blick auf den Oberst. »Viele in Beelinn bewundern sie…«
    »Viele hassen sie auch.« Jetzt wagte auch Lucida das Wort zu ergreifen. »Kaum ein Mann in der Siedlung, den sie nicht verführt hat. Ihr solltet hören, wie die Frauen über sie sprechen…!«
    »Ich verbitte mir derartige Verleumdungen!«, entgegnete Johaan scharf. »Naura ist mir treu! Ich vertraue ihr…!«
    Königin Jenny blickte von einem zum anderen. »Das sind ja sehr unterschiedliche Standpunkte. Ich muss sagen, ich bin ein wenig verwirrt.« Sie betrachtete Lucida, aber ohne sie anzusprechen. Schließlich sagte sie: »Ich werde über Euren Vorschlag nachdenken, Meister Johaan.«
    ***
    Pottsdam, Mitte August 2520
    Die Zwinger und die Hundekoppel lagen außerhalb der Stadtmauer Pottsdams am Waldrand inmitten von Kornfeldern und Tofanenäckern. Achtundzwanzig Doyzdogger hielt Rudgaar hier- die scharfen Kriegshunde in den Zwingern, die Welpen und Zuchthunde auf der Koppel hinter einem speerhohen Zaun. In Pottsdam erzählte man sich, der Hundemeister würde mehr Tage und Nächte hier bei seinen Tieren verbringen als bei Hof und seiner Familie.
    Der Abend, als Rudgaar die ersten beunruhigenden Nachrichten aus Beelinn erreichten, war mild und windstill.
    Bis in die Dämmerung hinein arbeiteten er und die Hundsknechte mit den Tieren: Dressur, Kampftraining, Abrichtung auf Bogenschützen und Reitinsekten. Rudgaar fiel auf, dass sein ältester Rüde immer dann die Ohren spitzte, mit dem Schwanz wedelte und erfreutes Gebell anstimmte, wenn er unter den Fenstern des Zeughauses vorbeilief.
    Nach Sonnenaufgang schickte der Hundemeister die Knechte zurück in die Siedlung. Er selbst betrat die langgestreckte Satteldach-Baracke, in der Hundegeschirr an den Wänden hing und Transportkäfige und Sprungböcke sich stapelten. Greif rannte an ihm vorbei und lief schwanzwedelnd zum äußersten Stützbalken. Dort äugte er ins Gebälk hinauf und winselte sehnsüchtig.
    Der halb abgenagte Schenkelknochen einer Ente fiel aus dem Dachgebälk und der alte Rüde machte sich darüber her.
    »Dachte ich mir’s doch.« Rudgaar stemmte die Fäuste in die Hüften und blickte hinauf zu Tilmo. »Nachrichten aus Beelinn, schätze ich.«
    »Ja und nein.« Der Junge klemmte einen schwarz gegrillten Entenschenkel zwischen die Zähne, kletterte aus dem Gebälk und sprang vor Rudgaar auf den Boden. Mit den Zähnen riss er ein Stück Fleisch aus dem Schenkel. »Meister Johaan hat mir keine Botschaft an dich mitgegeben.« Er kaute und sprach zugleich. »Also habe ich keine Nachricht. Zu deiner Botschaft hat er kein Wort gesagt. Das wiederum ist eine Nachricht.« Er biss erneut ein paar große Stücke aus dem Fleisch und warf das Entenbein dann dem Hund vor.
    »Bitte? Er hat nicht reagiert?«
    »Er überflog deine Botschaft nur kurz. Dann gab er mir Botenlohn und schickte mich weg. Irgendwie kam er mir gleichgültig vor.«
    »Das fällt mir schwer zu glauben. Immerhin habe ich ihn vor einem Mordanschlag auf sein Leben gewarnt und ihm gleich zwei Spione auf dem Beelinner Hof enttarnt.«
    »Glaube mir, Meister Rudgaar – ich habe weder Schrecken noch Staunen auf seinem Gesicht gesehen. Es gibt noch weitere Nachrichten: Gertruud ist seit ein paar Wochen verschwunden, Miouu ist vor acht Tagen

Weitere Kostenlose Bücher