1200 - Operation Ikarus
seiner aufdringlichen Art. Da hatte sie sich lieber auf das Gegenteil eingestellt und…
Nein, Unsinn! Sie lachte. Sie schüttelte den Kopf. Du benimmst dich wie ein kleines Mädchen, dachte sie. John Sinclair war eine Episode gewesen. Nichts hatten sie miteinander gehabt. Sie waren nicht zusammen ins Bett gegangen, sondern hatten sich ausschließlich um den Fall gekümmert und schließlich die Rattenkönigin gestellt.
Danach war Maxine wieder in ihren Job eingetaucht, den sie wirklich liebte. Die Tiere bedeuteten ihr noch etwas, und ihre Praxis war fast immer voll. Sie war bekannt bei den Menschen, vor allen Dingen bei den Kindern, die mit ihren Tieren in die Praxis kamen und sogar dabei zuschauen konnten, wenn Maxine sie behandelte.
Sie gähnte. Lang und anhaltend. Dann schaute sie in das Weinglas, in dem nur noch ein kleiner Rest schwamm. Den trank sie aus und stellte das Glas dann zur Seite.
Es ging ihr gut. Sie fühlte sich schläfrig, und sie war froh, Rick Foster nicht ins Haus gelassen zu haben. Sie würde den Kontakt auch auf Sparflamme halten, denn Rick war ihr als Typ zu kalt. Er dachte nur an seinen Job und gierte nach Anerkennung. Deshalb kannte er auch die Honoratioren der Stadt und jede Menge Personen mit viel Geld, die hier wohnten.
Er war ein gesuchter Anwalt, der sich vor allen Dingen um spektakuläre Fälle kümmerte, weil diese wiederum mehr Ansehen brachten, ohne das er nicht leben konnte.
Allmählich merkte sie schon die Müdigkeit. Es konnte am letzten Glas Wein gelegen haben. Was zu viel war, das war eben zu viel. Sie stand auf. Das leichte Schwindelgefühl glich sie aus und lachte dann über sich selbst.
»Max, reiß dich zusammen. Wenn dich so deine Patienten sehen könnten, würden sie sich wundern.« Sie lachte und wollte ins Schlafzimmer gehen.
Die Räume im Haus verteilten sich auf einer Ebene. Maxine mochte Bungalows. Im eigenen Haus wollte sie keine Treppen steigen, und sie wusste auch, dass sie platzmäßig im Luxus lebte. Bevor sie zu Bett ging, schaute sie nach, ob überall abgeschlossen war. Auch der Durchgang zur Praxis.
Dabei fiel ihr ein, dass sie die nächsten Tage allein war. Ihre Mitarbeiterin hatte für einige Tage Urlaub genommen, weil sie mit ihrem Freund in den Schnee fahren wollte.
Max summte vor sich hin, als sie in Richtung Haustür ging, die auch nicht aufgeschlossen werden musste. Die Tür war aus hellem Holz und hatte im oberen Drittel ein Fenster, durch das Maxine nach draußen schauen konnte.
Das tat sie jeden Abend, und auch jetzt!
Ihre Augen weiteten sich. Sie war im Haus allein, aber davor hielten sich zwei Personen auf. Sie hatte die beiden nur kurz gesehen, weil sie gingen und sich damit in den toten Winkel begaben, aber eine Sekunde später schrak die Tierärztin unter dem Klang der Klingelglocke zusammen.
Besuch in der Nacht?
Rick war es nicht, das hatte sie gesehen. Sie hatte auch nicht das Gefühl einer Gefahr, und deshalb zog sie die Tür auf, ohne zuvor die Kette einrasten zu lassen.
Vor ihr standen zwei Mädchen!
Die Augen der Frau weiteten sich, denn eine der beiden Besucherinnen kannte sie.
»Rosy…?«
»Ja. Mrs. Wells.«
»Aber… aber… was ist denn los?«
»Dürfen Carlotta und ich zu Ihnen kommen - bitte…«
Maxine überlegte. Ihr war schon aufgefallen, dass die beiden unter Stress standen. Auch die Stimme der Fragerin hatte sich nicht normal angehört. Jedes Wort war noch etwas nachgezittert. Alles wies darauf hin, dass die beiden Probleme hatten.
»Gut. Wenn es so wichtig ist, dann kommt.«
Sie gab den Weg frei. Dann sah sie die zweite Besucherin. Sie hatte blondes Haar, ein fein geschnittenes Gesicht und einen kleinen Mund. Aber sehr wache Augen, die sich bewegten, als wären sie dabei, nach irgendwelchen Gefahren zu suchen.
Maxine schloss die Tür hinter den beiden. Sie hatte die Besucherinnen schon vorgehen lassen, sah sie jetzt vom Rücken her an - und glaubte, einen Traum zu erleben.
Zwischen den Schulterblättern des ihr unbekannten Mädchens wuchsen Flügel…
***
Auf dem Holztisch im Wohnraum standen die mit Saft gefüllten Gläser. Maxine hatte zweimal nachgeschenkt. Ihre beiden Besucherinnen waren regelrecht ausgetrocknet vor Durst. Sie hatte ihnen auch etwas zu essen gemacht, eine kleine Pizza aufgebacken. Jetzt waren sie dabei, die Dreiecke zu essen.
Maxine Wells kannte jetzt die ganze Geschichte. Von Müdigkeit verspürte sie nichts mehr. Sie war hellwach, und immer wieder fuhr sie mit den gespreizten
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