1200 - Operation Ikarus
ist kein Traum. Ich liege wirklich auf dem Körper.
Alles, was ich sehe und fühle, ist wahr. Keine Lüge, kein Geschichte, nur die Tatsache.
Es waren so viele Gedanken, die Rosy durch den Kopf schossen. Sie schaffte es nicht, sie zu sortieren, und sie fühlte sich dabei so herrlich wie ein Vogel, der von einem anderen, einem größeren getragen wurde.
Das normale Leben blieb hinter ihr zurück. Das Haus, der Garten, ihr Zimmer, in dem Napoleon sicherlich auf sie wartete. Das alles war so klein geworden, jetzt gab es nur noch die neue Welt für sie. Die Welt der Lüfte, verbunden mit all der Herrlichkeit, die auch die Vögel empfanden.
Und sie waren dem Killer entkommen. Seiner verdammten Waffe, seiner Brutalität.
Der Gedanke an ihn überschattete Rosys neues Erleben.
Das Bild würde sie nie mehr loswerden. Da konnte sie Jahre alt werden. Es würde immer vor ihren Augen bleiben.
Das war einfach so. Dagegen konnte sie sich nicht wehren.
Obwohl sie diesen verfluchten Killer nur für einen kurzen Moment gesehen hatte. Aber dieser Augenblick hatte ihr gereicht.
Sie sah das Gesicht vor sich. Diese glatte Fratze mit den kalten, brutalen Augen. Ein nur hässliches Gesicht. Wie eine Maske. So düster die Haut und zugleich glatt. Ein schmaler Mund, das lange glatte Haar, so also sah ein Toter aus, der sich um Menschenleben keine Gedanken machte.
Sie stöhnte leise vor sich hin, und der Wind riss ihr die Geräusche von den Lippen. Sie überlegte, aber es war ihr nicht möglich, die Gedanken zu ordnen. Zu viel war auf sie eingeströmt, und erst jetzt kam ihr der Gedanke, sich umzuschauen. Sie war es, die sich in der Stadt und in dessen Umgebung auskannte, und sie musste ihre Retterin führen.
Fest lag sie auf dem Rücken und hielt sich an den Schultern fest. Sie störte auch nicht den Schwung der Flügel. Carlotta konnte fliegen, ohne behindert zu werden. Es war einfach fantastisch, was sie erlebte.
Rosy drehte den Kopf.
Mal schaute sie nach rechts, dann wieder nach links. Der Blick in die Tiefe ließ noch nicht viel erkennen. Hier und da eine Straße, aber das meiste war dunkler Wald, den sich Carlotta als Schutz ausgesucht hatte. Nur weit weg vom Haus und damit auch vom Killer.
Carlotta suchte nach einer Möglichkeit, um sicher zu landen.
Sie wollte einen Platz haben, der Schutz bot und an dem sie nicht so leicht entdeckt werden konnten.
Ein Grill- und Parkplatz erschienen unter ihnen. Es war nur die Hütte zu sehen. Ein Auto stand nicht in der Nähe, in dem ein Liebespaar hätte sitzen können.
Rosy hatte das Gefühl, wie auf Wolken dem Boden entgegenzuschweben. Fast war sie enttäuscht, als sie den ersten Kontakt mit dem Boden bekam. Carlotta landete weich, und Rosy ruschte von ihrem Rücken herab.
Sie kam mit beiden Füßen auf, aber sie musste noch einige Schritte nach links laufen, um das Zittern in ihren Knien zu beruhigen. Tief durchatmend blieb sie stehen. Ihr Herz schlug viel schneller als gewöhnlich. Sie konnte auch nicht reden.
Zuerst musste sie die Vorgänge verkraften.
Carlotta war unter dem pilzförmigen Dach der Grillhütte verschwunden. Sie ging zu einer schmalen Bank und ließ sich darauf nieder. Als Rosy ihr folgte, lächelte sie der neuen Freundin ins Gesicht.
»Na, das hat doch wunderbar geklappt. Sind wir nicht gut, meine Liebe?«
»Ja, wenn du das sagst.« Rosy war noch immer durcheinander und musste die neuen Eindrücke verkraften. Sie zog die Schultern hoch, dann ließ sie sich neben Carlotta nieder.
»Der Killer hat uns nicht erwischt«, flüsterte sie. »Wir sind schneller gewesen.«
»Ich weiß.«
»Das liegt nur an dir, Carlotta.«
»Nein, Rosy, nein. Wir sind beide gut gewesen. Wir haben beide die Nerven behalten.«
»Ich hatte nur Angst.«
»Das ist ganz natürlich.«
»Hattest du denn keine?«
Carlotta legte den Kopf zurück und lächelte. »Angst?«, murmelte sie vor sich hin. »Ja, auch wir haben Angst. Aber irgendwie schaffen wir es, sie auch zu überwinden, verstehst du?«
»Noch nicht.«
»Wir sind anders groß geworden. Ich will nicht sagen, dass man uns gezüchtet hat, aber weit ist das nicht davon entfernt. Ich weiß auch nicht, woher ich komme und…«
»Aber wieso denn? Du musst als Baby - ich meine, dich muss man doch geboren haben.«
»Hat man auch.«
»Und dann?«
»Ich weiß nichts. Ich kann mich nur an das Home erinnern. Wir sind dort größer geworden. Es gab sogar eine Schule. Alte Lehrer haben uns unterrichtet. Wir kennen viel, aber wir
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